„Ein Feldlager in Schlesien“ ist ein Singspiel mit historischer Karriere. 1844 kam es als Auftragswerk an Giacomo Meyerbeer, den damaligen Generalmusikdirektor der Berliner Hofoper, das erste Mal zu Bühnenehren. Der weltläufige, in Paris wie in Berlin populäre Komponist feierte damit nicht nur das nach einem Brand wiedererrichtete Haus, sondern glorifizierte gleich ganz Preußen. Mit dem „Alten Fritz“ und ein paar Anekdoten aus dessen Leben als Flötenspieler und Kriegsherr im Zentrum und dem Siebenjährigen Krieg als historischem Hintergrund. Schon, weil der „Dessauer Marsch“ und eine unglaubliche Ballung von martialischem „Hurra!“-Patriotismus in einer hemmungslosen Militär-Revue den mittleren Akt mit dem eigentlichen Feldlager dominieren und König Friedrich II. als aufgeklärter Geist, cleverer Feldherr und umsichtiger Landesvater ausnehmend gut wegkommt, avancierte das Werk für viele Jahrzehnte zur preußischen Nationaloper für alle Jubel-Fälle.

Ende des 19. Jahrhunderts verschwand sie jedoch von der Bildfläche. Im von Preußen dominierten Reich hatte Meyerbeers Widersacher Richard Wagner die erdrückende Übermacht. Im 20. Jahrhundert schließlich sorgte der Rassenwahn der Nazis dafür, dass Meyerbeer heute zum Objekt von Ausgrabungs-Ehrgeiz wurde. So ist das „Feldlager“ ein Musterbeispiel für den „Fokus ’33“, mit dem sich das Theater Bonn solchen Werken widmet.

Aktuell musste das Haus sich pandemischen Querschlägen erwehren und brauchte die Nerven für vier (!) Anläufe zur Premiere. Dann kam auch noch der Überfall auf die Ukraine dazwischen, der Friedrichs Krieg um Schlesien in eine beklemmende Nähe rückt. Jakob Peters-Messer bewältigt diese Herausforderung mit intelligentem Geschick. Ein Chronist steuert im Habitus eines Regisseurs bei der Arbeit Erhellendes bei. Der erste Akt, in dem der König mit Hilfe seiner Untertanen vor einer Gefangennahme bewahrt wird, ist so singspiel-unterhaltend wie der dritte, für den Sebastian Hannak (Bühne) ein Sanssouci-Vorzimmer von oben einschweben lässt. Der König ist auch da nur durch sein Flötenspiel präsent und sorgt für ein Happy End, bei dem die ganze Familie seiner Retter gut bedient wird. Der militärische Mittel- wird zum Balanceakt. Den eskalierenden „Hurra!“-Patriotismus vorzuführen und die realen Folgen für die Opfer zu zeigen, gelingt durch eine Verlegung der Aufmarsch-Fläche für die Soldaten über die Reihen mitten im Zuschauerraum. Der Chor bewältigt das Enthüllen hinter der Fassade glänzend.

GMD Dirk Kaftan hält das musikalische Feuerwerk stets im Zaum und lässt Meyerbeers musikalischen Einfallsreichtum funkeln. Tobias Schabel profiliert den Hauptmann a.D. Saldorf als preußischen Muster-Untertanen, Elena Gorshunova glänzt als dessen Pflegetochter Vielka vor allem mit ihren Koloraturen und Jussi Myllys wird als etwas schlichter Conrad eher unfreiwillig zum Helden bei der Rettung des Königs. Fazit nach viel „Heil!“-Gebrüll: eine siegreiche Ausgrabung.

Roberto Becker

„Ein Feldlager in Schlesien“ (1844) // Singspiel von Giacomo Meyerbeer

Infos und Hintergründe zu „Fokus ’33“ auf der Website des Theaters