Das illustre Münchner Premierenpublikum – Anne-Sophie Mutter in der Königsloge – ist begeistert. Es gibt wiederholt Szenenapplaus und frenetischen Beifall mit Fußgetrampel am Ende. Star des Abends ist der mit zahlreichen Preisen ausgezeichnete Tenor Xabier Anduaga. Er verkörpert Tonio, den Tiroler, der die Regimentstochter Marie einst vor dem Sturz in einen Abgrund bewahrte, sich in sie verliebte und dem sie das Leben rettet, als das 21. Regiment der französischen Armee ihn als Spion köpfen möchte. Mit dem herrlichen Schmelz seines Timbres, voluminöser Strahlkraft und körperbetonten Spitzentönen interpretiert er auch die bekannteste Arie der Oper, die Cavatine „Ah! mes amis, quel jour de fête!“ mit neun hohen Cs, in der er sein Schicksal preist, Soldat und Bräutigam zu sein. Der gewaltige Beifall nach dieser Arie löst minutenlange Erstarrung auf der Bühne aus, ehe die Marquise de Berkenfield Marie als ihre „Nichte“ mit auf ihr Anwesen nimmt, um sie standesgemäß zu bilden und zu verheiraten.

Der Regisseur Damiano Michieletto und sein Bühnenbildner Paolo Fantin, die eine langjährige Zusammenarbeit verbindet, setzen Gaetano Donizettis komische Oper „la fille du régiment“ mit Witz und Ironie in Szene. Der realistische Wald im Hintergrund der Spielfläche, in dem sich plötzlich ein „Fenster“ in das Anwesen der Marquise öffnet, erscheint im zweiten Akt als Bild, aus dem die Soldaten einfallen, um Marie zurückzuholen. Mit den Kostümen von Agostino Cavalca bietet die Inszenierung wirkungsvolle Momente der Symbolik und ironischen Brechung. Doch erlangt sie damit keine Tiefe. Daran ändert auch die Schauspielerin Sunnyi Melles als Duchesse de Crakentorp und Erzählerin nichts. In neu verfassten Monologen an Stelle der Dialoge führt sie durch die Handlung und erklärt forsch: „Das Einzige, was im Leben zählt, ist zu wissen, wer man ist.“ Von all den Fragen um die psychologische Komplexität der Marketenderin Marie, das Frau-Werden eines Mädchens, das unter Soldaten aufwächst, sowie den historischen Kontext der Handlung, die das Programmheft aufwirft, berührt die Inszenierung keine. Vielmehr irritiert die romantische Verklärung des Soldatenlebens, die, angetrieben von den Trompetensignalen und Trommelwirbeln der Musik, immer wieder in Klamauk mündet.

So wird der Abend zu einem Fest für Melomanen. Neben Xabier Anduaga ist es die Sopranistin Pretty Yende in der Rolle der Marie, die mit ihrer Bühnenpräsenz, ihrem darstellerischen Talent und ihrem Gesang, der sich von Lyrischem über halsbrecherische Koloraturen bis zu Durchbrüchen über den Schönklang hinaus erstreckt, das Publikum zu Beifallsstürmen hinreißt. Auch der Bariton Misha Kiria als Sergeant Sulpice und Maries Ziehvater sowie die Sopranistin Dorothea Röschmann als Marquise de Berkenfield und Maries leibliche Mutter überzeugen mit ihren komischen Übertreibungen und ihrem Gesang. Und Stefano Montanari geleitet das wie immer exzellent spielende Bayerische Staatsorchester mit Esprit durch alle Kontraste der Partitur.

Ruth Renée Reif

„La fille du régiment“ (1840) // Opéra comique von Gaetano Donizetti

Infos und Termine auf der Website der Bayerischen Staatsoper