Die „Perlenfischer“ im Seniorenheim – was wie ein Regietheater-Exzess klingt, funktioniert in der Produktion des Kollektivs FC Bergman erstaunlich gut. Das ungewöhnliche Setting lässt sich zwangslos aus der Erzählweise des Librettos ableiten. Da trifft Zurga, der Anführer eines kleinen Inselvolkes, nach vielen Jahren seinen Jugendfreund Nadir wieder. Beide waren einst in dasselbe Mädchen, Léïla, verliebt. Dieses taucht, zunächst unerkannt, als Tempelpriesterin wieder auf. Die Konflikte einer vergangenen Dreiecksgeschichte mit Freundschaft, Liebe und Eifersucht brechen neu hervor.

Als Spielort dient der trostlose Gemeinschaftsraum eines Altenheims, nebenan befindet sich eine Leichenhalle samt Kühlzellen. Der Coup der Inszenierung ist, dass der zentrale Handlungsort der erzählten Vergangenheit, ein Strand, als lebensgroßes Diorama nachgebaut wurde und per Drehung der Bühne zum Vorschein kommt. Eine gewaltige Meereswelle ist zur Skulptur erstarrt, davor sind jugendliche Doppelgänger der vergreisten Protagonisten zu sehen, zunächst in eingefrorenen Bewegungen, später auch in einfühlsamen Choreografien, welche die Vorgeschichte lebendig werden lassen. Zwei Tänzer (Bianca Zueneli als junge Léïla und Jan Deboom als junger Nadir) werden zu gleichberechtigten Darstellern. Eugene Richards III, der sich als junger Zurga bruchlos in die Choreografie einfügt, offenbart im letzten Akt zudem noch einen sonoren Bassbariton, weil das Regieteam ihn mit der Rolle des Gemeindeältesten Nurabad gleichsetzt, wodurch der alte Zurga nun mit seinem jüngeren Ich konfrontiert wird.

So werden die im Libretto angelegten Leerläufe handwerklich geschickt und optisch attraktiv umschifft. Das Stück erhält dadurch eine enorme Aufwertung. Es ist als emotional berührendes Drama zu erleben, wo es anderenorts lediglich als Vehikel für die Musik dient, insbesondere für das Wunschkonzertduett von Zurga und Nadir „Au fond du temple saint“, dessen Melodie die Partitur als Erinnerungsmotiv durchzieht. Die farbige Musik des jungen Bizet erklingt unter der zupackenden Leitung von Chin-Chao Lin frisch und duftig. Die Sänger der Hauptpartien sind nicht nur rollenerfahren, sondern auch mit der Inszenierung vertraut: Sie gehörten zur Originalbesetzung von Opera Ballet Vlaanderen, wo die Produktion vor einigen Jahren zuerst gezeigt wurde. Die äußerliche Darstellung von Greisen gelingt ihnen derart überzeugend, dass ihre Gesangsleistungen dazu in einem denkbar großen Kontrast stehen.

Mit kernigem Bariton trumpft Kartal Karagedik als Zurga auf. Elena Tsallagovas Sopran verleiht der Léïla jugendlich-dramatische Frische und bewältigt mühelos die zahlreichen Koloraturen. Dass Marc Laho als Nadir mit seinem lyrischen Tenor in der Höhenlage mitunter merkbar in die Kopfstimme umschalten muss, schmälert seine Leistung nicht wesentlich. Der präsente Chor der gar nicht greisenhaft singenden Greise gefällt mit satter Klangfülle und Homogenität. Die Choristen sind dabei sehr überzeugend in der Darstellung einer Schar von Altenheimbewohnern.

Dr. Michael Demel

„Les pêcheurs de perles“ („Die Perlenfischer“) (1863) // Oper von Georges Bizet