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Rezensionen 2025/04

Die Urmutter wacht

London / Royal Opera House (Mai 2025)
Barrie Kosky und Antonio Pappano schmieden ihren „Ring“ weiter

London / Royal Opera House (Mai 2025)
Barrie Kosky und Antonio Pappano schmieden ihren „Ring“ weiter

Erda schläft nicht. Die Urmutter sieht die Weltläufte mit eigenen Augen und ist ihnen in aller Nacktheit und Schutzlosigkeit zumeist hilflos ausgeliefert. Schlimmer noch: Sie wird auf einem Drehteller allen Blicken ausgestellt, grell beleuchtet von einem unbarmherzigen Scheinwerfer von oben. Im „Rheingold“ wurde ihr unter Folter das Edelmetall abgepresst, hier wird sie gedemütigt von Wotans Gattin Fricka, der sie zwischenzeitlich als livrierte Chauffeurin dienen muss – offenbar die Rache der Chefgöttin dafür, dass sie Wotans Lieblingstochter Brünnhilde geboren hat. Und doch: Erda greift ein, ganz sachte. Hilft Siegmund, das Schwert aus der Wand zu ziehen. Tröstet ihre Tochter Brünnhilde. Ist in deren Nähe, als Wotan sie schäumend vor Wut sucht, weil sie ihren Halbbruder Siegmund im Kampf gegen Hunding gegen seinen Befehl geschützt hat.

Eines schält sich nach zwei Teilen bereits heraus als roter Faden bei Barrie Koskys neuer „Ring“-Inszenierung am Royal Opera House in Covent Garden: Diese scheinbar wehrlose Mutter Erde wird dieses und jedes andere Patriarchat überleben. So eine Setzung ist nicht neu, aber sie ist in jede Figur hinein gut durchdacht und ausgearbeitet, für viele der logischen Brüche in der „Walküre“ hat Kosky eine Antwort gefunden. Zusammen mit Bühnenbildner Rufus Didwiszus und Kostümbildnerin Victoria Behr hat er starke und bisweilen typisch plakative Bilder ersonnen. Einiges ist aus dem „Rheingold“ der letzten Spielzeit übernommen, etwa die verkohlte Weltesche und eben Erdas Präsenz. Die Personenführung ist großartig, nicht zufällig wird der halbstündige (und gerne mal sterbenslangweilig anzusehende) Abschied Wotans von Brünnhilde zur intensivsten, gelungensten Szene des Abends.

Das liegt natürlich auch an Christopher Maltman, dessen Wotan seit dem „Rheingold“ an selber Stelle noch mehr Präsenz und auch Zwischentöne gefunden hat, und an Elisabet Strid, die es schafft, ihrer Brünnhilde Leichtigkeit und Verzweiflung, rohe Kraft und große Innigkeit zu verleihen. Natalya Romaniw steigert ihre Sieglinde klug zu heller Dringlichkeit und hat in Solomon Howard einen herrlich bösartigen, stimmlich wie textlich präsenten Hunding zum Partner. Nur Stanislas de Barbeyrac ist sprachlich und musikalisch überfordert, Siegmund ist die falsche Rolle für seinen weichen, gedeckten Tenor.

Das ist sicher auch der Grund, dass Antonio Pappano am Pult im ersten Aufzug ständig sein Orchester herunter dimmt, etliche Wackler inklusive – die Steigerung im Laufe des Abends ist aber gewaltig und die Ovationen am Ende völlig berechtigt. Auch Pappano ist es (neben seinem Buddy Kosky) zu verdanken, dass diese „Walküre“ die hohen Erwartungen nach dem „Rheingold“-Vorabend vor anderthalb Jahren erfüllen kann. Ob Siegfried dann auf dem verkohlten liegenden Baumstamm mit den vielen Astlöchern als seinem Spielplatz herumturnen wird? Wir sind gespannt. Keine gewagte Prophezeiung: Erda wird sicher zusehen.

Stephan Knies

„Die Walküre“ (1870) // Erster Tag des Bühnenfestspiels „Der Ring des Nibelungen“ von Richard Wagner

Infos und Termine auf der Website des Royal Opera House

Ab ins kalte (?) Wasser!

Erl / Tiroler Festspiele Erl (April 2025)
Wagners „Parsifal“ im Zeichen der Musik

Erl / Tiroler Festspiele Erl (April 2025)
Wagners „Parsifal“ im Zeichen der Musik

Mit Spannung erwartet wurde der erste Bühnenauftritt von Neu-Intendant Jonas Kaufmann bei „seinen“ Tiroler Festspielen. Dass er dafür zu Ostern den „Parsifal“ in einer spirituell-abstrakten Inszenierung von Philipp M. Krenn aufs Programm setzt, passt zur neuen Erler Programmatik. Diese will sich insgesamt an den „guten“ Traditionen des Opernbetriebs orientieren, auf überbordendes Regietheater verzichten und – nichts anderes würde man von einem Sängerintendanten erwarten – die Musik in den Mittelpunkt stellen. Was überzeugend gelingt.

Nicht nur Kaufmann selbst in der Titelpartie, auch alle anderen Solistinnen und Solisten warten mit Weltklasse-Leistungen auf. Kundry Irene Roberts lässt keinen Zweifel an ihren vorhandenen Qualitäten als Verführerin und demonstriert kraftvoll-sinnlich die hervorragende Akustik des Raums. Dass sie dabei dauernd im Wasser planschen und am Ende (etwas früh!) abtauchen muss – die Regie platziert einen Pool mitten auf der Bühne – scheint sie überhaupt nicht zu stören. Ebenfalls beeindruckend gerät das Rollendebüt von Georg Nigl als Klingsor, der seiner bizarren Figur einen stimmlich-kraftvollen Stempel aufdrückt. Und gleich noch eine weitere Leistung sticht hervor: Michael Nagy ist als leidender Amfortas (in Krenns Inszenierung im Rollstuhl) eine akustisch wie optische Erscheinung mit extremer gestalterischer Variabilität, wodurch selbst etwas langatmige Passagen in der Partitur nie an Spannung verlieren. Auch Brindley Sherratt hält den hohen Erwartungen stand und fügt sich als stimmgewaltiger, „tönender“ Gurnemanz perfekt ins Ensemble ein. Clive Bayley schließlich komplettiert die Solistenriege als König Titurel mit seiner kraftvollen Bass-Stimme.

Einzig Asher Fisch am Pult des Orchesters der Tiroler Festspiele hätte man vor allem im ausladenden ersten Akt etwas mehr „Feuer“ und deutlichere Akzentuierungen gewünscht – nicht nur, weil die riesige Besetzung mit sieben (!) Kontrabässen den fulminanten Wagner-Klang wirklich feiert. Szenisch und akustisch zuverlässig „auf und hinter der Bühne“ agiert der festivaleigene Chor, einstudiert von Olga Yanum.

Erfreulicherweise drängt sich das Regiekonzept dieser musikalisch so starken Produktion nicht in den Vordergrund. Krenn verzichtet auf eine allzu eigenmächtige Interpretation und erzählt die Geschichte geschickt, ästhetisch anmutig und „logisch zur Musik“. Die helle, abstrakte Bühne von Heike Vollmer ist geprägt von großen, mechanisch bewegbaren, weißen Elementen, die aussehen wie das Festspiel-Logo. Kundry erscheint zunächst in Pastellfarben-Braun, später auch im weißen Kleid, die Blumenmädchen-Szene präsentiert sich insgesamt mehr knallbunt als erotisch, aber ansprechend. Einzig Parsifal setzt im jungenhaften, dunklen Hoody-Jeans-Outfit farblich kontrastierende Akzente. Erst gegen Ende, nach aufwendig zelebrierter heiliger Waschung, darf er sich ebenfalls ein weißes Outfit anziehen (Kostüme: Regine Standfuss). Nicht zu vergessen das dominierende Bühnenelement der Inszenierung und deren optischer Mittelpunkt: der Pool – vielleicht im Laufe des Stücks etwas zu sehr strapaziert. Unbedingt und nichtsdestotrotz ein sehr gelungener Auftakt in die Erler Festspielsaison, der Lust macht auf mehr.

Iris Steiner

„Parsifal“ (1882) // Bühnenweihfestspiel von Richard Wagner