Erl / Tiroler Festspiele Erl (Juli 2025) Der Doppelabend „Herzog Blaubarts Burg / La voix humaine“ ist ein „Must-see“ dieses Sommers
Wer heuer die sommerliche Festival-Landschaft bereist, sollte unbedingt in Erl vorbeischauen. Auf den ersten Blick ist „Herzog Blaubarts Burg / La voix humaine“ zwar eigentlich nicht das, was man einen Gassenhauer nennen würde, und die Stückkombination (Entstehungsjahre 1911 und 1956) gab es auch schon an anderer Stelle. Demnach ist die Premiere trotz umfangreicher Werbemaßnahmen auch nicht ausverkauft. Selbst schuld, möchte man den Daheimgebliebenen zurufen, denn dieser Doppelabend in herausragender Solistenbesetzung ist sicher mit das Beste, was das Erler Festspielhaus seit seiner Inbetriebnahme 2012 gesehen hat.
Regisseur Claus Guth setzt auf makabres Psychodrama und inszeniert mit sicherem Wirkungs-Gespür und eindringlicher Personenführung ein cineastisches Beziehungsdrama in zwei Akten, in dessen Mittelpunkt jeweils das (makabre) Spiel männlicher Dominanz über „die Frau“ als Objekt steht. Dabei greifen in Béla Bartóks „Blaubart“ die Erzählmechanismen innerer und äußerer Handlung nahtlos ineinander, Guth kokettiert mit über-realistischer Erzählweise à la Hitchcock – ähnliche Wirkung inklusive. Die sieben Türen werden zu sieben imaginären Räumen und der gutaussehende (!) Womanizer-Protagonist ist ein verzweifelt liebender, zwanghafter Frauenmörder, dem nicht nur Florian Boeschs warme, runde Baritonstimme sehr menschliche, fast schon weiche Züge verleiht (passgenaues Kostümbild: Anna Sofie Tuma). Christel Loetzsch präsentiert sich als in jeder Form adäquate Judith, singt und entwickelt sich warm in ihrer Rolle der naiven jungen Braut bis hin zur mutig Liebenden in erschütternder Selbstaufgabe. Wenn sie dann fast bockig auch den letzten seelischen Abgrund des Gatten ergründen will und sich schließlich in ihr Schicksal fügt, macht Loetzschs außerordentliche stimmliche Bandbreite sie zu einer Idealbesetzung für diese Partie voll emotionaler Extreme.
Im zweiten Teil, Francis Poulencs Monooper „La voix humaine“, setzt Barbara Hannigan mit ihrer „One-Woman-Show“ über 45 Minuten fast noch eins drauf. Als verzweifelt-verlassene Geliebte am Telefon liefert sie einen phänomenalen, bis zur Schmerzgrenze intensiven Monolog aus Körper- und Stimmeinsatz. Auch hier überzeugt Claus Guths psychedelisches Regiekonzept. Er setzt über große Strecken auf Schlüsselloch-Optik, ein Verfolger-Spot auf sonst dunkler Bühne (Licht: Michael Bauer) fokussiert sich auf die Protagonistin, die am vorderen Bühnenrand vor geschlossenem Vorhang auf- und abgeht und mit imaginären Telefonhörern interagiert. Im Verlauf der Handlung überlagern sich dann die beiden Stücke des Abends im Bühnenbild des ersten Teiles. Man erfährt, dass die Namenlose gerne Blaubarts fünfte Frau geworden wäre – und erkennt die Parallelen der gepeinigten Protagonistinnen.
Unbedingt hervorgehoben werden muss auch die gelungene musikalische Balance des Orchesters der Tiroler Festspiele Erl und die spürbar wohlwollende und sensible Unterstützung der drei Solisten „aus dem Graben“. Der erst 29-jährige Martin Rajna am Pult wird mit dieser Leistung seinem Ruf als „Shootingstar“ der internationalen Dirigierszene mehr als gerecht. Vielleicht ist aber auch die ungewöhnlich intime Erler Probenatmosphäre „schuld“ an solchen Ensemble-Leistungen. Gerne mehr davon!
Iris Steiner
„A kékszakállú herceg vára“ („Herzog Blaubarts Burg“) (entstanden 1911, uraufgeführt 1918) // Oper von Béla Bartók
„La voix humaine“ („Die menschliche Stimme“) (1959) // Monooper von Francis Poulenc
Infos und Termine auf der Website der Tiroler Festspiele Erl