Eines haben die Kompositionen, die zur Spielzeiteröffnung nach langer, Corona-bedingter Pause an der Oper Frankfurt im Zusammenspiel mit Gian Carlo Menottis Oper „The Medium“ zu erleben sind, gemeinsam: Sie strahlen Hoffen, Trauer und Vergänglichkeit der menschlichen Existenz aus. Zu Beginn betreten rund dreißig Männer die Bühne. Der „Gesang der Geister über den Wassern“ für acht Männerstimmen und tiefe Streicher von Franz Schubert ertönt, gefolgt von Johannes Brahms „Vier Gesängen“ für Frauenchor, zwei Hörner und Harfe. Beide Werke sind reizvolle, Naturromantik atmende Stücke, die besondere Klangfinessen der begleitenden Musiker einfordern. Dies gelingt vorzüglich unter dem achtsamen Dirigat von Generalmusikdirektor Sebastian Weigle. Brahms „Vier Gesänge“ erinnern an Wagners Spinnerlied aus dem „Fliegenden Holländer“. Frisch, jung, beherzt und fast knabenhaft tönt der in lange, schwarze Samtkleider gehüllte Frauenchor. Chorleiter Tilman Michael kann aus dem musikalisch Vollen schöpfen. Gute Deklamation, Textverständlichkeit und wohl geformte Konsonanten zeichnen diesen Opernchor aus, trotz der Masken, die sie tragen müssen. Der Zuhörer begreift, dass Musik Seelensprache sein kann, ja ist! Intelligentes dramaturgisches Kombinieren von Einaktern mit Kompositionen des abendländischen Chorgesangs geben dem manchmal zu sehr aufs Schauen fokussierten Publikum die Chance zu einem neuen, achtvollen Hinhören. Befreite Klänge folgen bei Witold Lutosławskis „Musique funèbre“ für Streichorchester, entstanden 1958 im Gedenken an den großen ungarischen Komponisten Béla Bartók. Das Solocello erhebt die Stimme. Schluchzende Sekunden, aufbegehrende Quinten bestimmen das Beklemmung hervorrufende Stück.

Dies ist eine gelungene Überleitung zu Gian Carlo Menottis Einakter „The Medium“. Regisseur Hans Walter Richter zeigt in psychologisch ausgefeilter, tiefgründiger Personenzeichnung die voneinander abhängigen Personengeflechte auf. Im gespenstisch dunklen Souterrain (Bühne: Kaspar Glarner) hält Spiritistin Madame Flora Séancen ab und wird durch zu viel Alkoholgenuss und Wahnvorstellungen verrückt. Claire Barnett-Jones singt und agiert exzellent – eine meisterhafte Fallstudie. Beeindruckend und die Entdeckung des Abends ist Gloria Rehm (Monica), die als liebessehnsüchtiges Wesen mit glasklarem, hellem, schwärmerischem Sopran aufwartet. Gut gesanglich aufeinander eingespielt und wohlig hysterisch ist das Séancen-süchtige Ehepaar Gobineau, Barbara Zechmeister und Simon Neal. Überzeugend mit mezzostattem Ton gestaltet Kelsey Lauritano ihre Partie der Mrs. Nolan. Marek Löcker brilliert in der stummen Rolle des angstbeladenen Toby. Das Frankfurter Opern- und Museumsorchester unter der Leitung von Sebastian Weigle zaubert aus dem Graben energiegeladenes, hochdramatisches Feuerwerk. „Stets Gewohntes nur magst du verstehn: doch was noch nie sich traf, danach trachtet mein Sinn.“ Wotans Wunsch aus dem „Ring“ ging an diesem Abend in Erfüllung. Ein nachdenkliches, musikalisch stimmungsvolles Erleben.

Barbara Röder

„The Medium“ (1946) // Gian Carlo Menotti; kombiniert mit Kompositionen für Chor und Orchester von Franz Schubert, Johannes Brahms und Witold Lutosławski