Vor einem Jahr dirigierte Michael Hofstetter bei den von ihm geleiteten Gluck Festspielen Mozarts 1791 in Prag uraufgeführte Oper (anlässlich der Krönung Kaiser Leopolds II. zum König von Böhmen) sowie Christoph Willibald Glucks gleichnamige Opera seria „La clemenza di Tito“. Jetzt also wieder Mozarts „Titus“: „Made in Weimar“ in einer deutschen Fassung von Goethes Schwager Christian August Vulpius. Das nach maßgeblicher Bauleitung des Weimarer Dichterfürsten eröffnete Schauspielhaus in Lauchstädt war Goethes Klein-Bayreuth. Das ist ein gewichtiger Grund von Hofstetters Liebe für diesen Aufführungsort.

Mozarts Vertonung gelangte mittels einer heute im Thüringischen Landesmusikarchiv aufbewahrten und um ein Viertel gekürzten Partitur-Abschrift nach Weimar. Vulpius übertrug die rituellen Verse des italienischen Originals in blutiges bis blumiges Sturm-und-Drang-Deutsch. Zudem verwandelte er die langen Rezitative in gesprochene Dialoge. Die Story über den von seiner Geliebten Vitellia zum Attentat auf den altrömischen Kaiser Titus getriebenen Sextus wurde noch knapper, sinnfälliger, drastischer – und weitaus unterhaltsamer.

Anderer Coup der Produktion: Mit einem Teil von Hofstetters Bayreuther Gluck-Ensemble ist dieser „Titus“ ein Projekt des Puppentheaters Halle. Die Lauchstädter Dramaturgin Ilsedore Reinsberg konnte für ihre aus handgeschriebenen Rollen- und Soufflierbüchern sowie interlinearen Eintragungen in die Thüringer Partitur erstellte Rekonstruktion den Figurentheater-Regisseur Ralf Meyer gewinnen.

Im Lauchstädter Theater agiert das packend agile Vokalensemble Cantus Thuringia als Chor und die Puppenspielenden mit den von Atif Hussein fast lebensgroß als Doubles der Sängerinnen und Sängern gestalteten Figuren. Die Ausstattung von Angela Baumgart gibt sich mit ästhetischer Kontrastschärfe: Funktionale Neonkonturen für das römische Forum stehen neben Playgame-Farben für eine Landschaft mit den vervielfachten Wasserfällen von Tivoli. Am spannendsten wird Meyers Regie, wenn die singenden Personen mit ihren Puppen-Doubles in psychisch-physischen Clinch geraten.

Hofstetters rumorende, aufregende, an Zwischentönen und dramatischem Furor reiche Instrumentalarbeit mit der Staatskapelle Halle trägt die charakterstarken Stimmen: Anna Herbst (Servilia), Maria Hegele (Annio) und Michael Zehe (Publio) sind Mozart-affin auf hohem Standard. Olena Tokar, Lieblingssopranistin des Leipziger Opernpublikums, ist als Vitellia noch nicht ganz im Heroinen-Olymp des Opern-Spätfeudalismus angekommen. Sie nimmt die Abgründe der an den politischen Rand gedrängten Kaisertochter als Attitüde und bekommt beim Soloapplaus vom gleichen Verehrer gleich drei Blumensträuße zugeworfen. Aco Bišćević ist ein stil- und passgenauer Kaiser: kein lyrischer Mozart- und Fast-Heldentenor für große Häuser, sondern hell, feinsinnig, minimal nasal und gerade deshalb viel näher bei Mozarts kaiserlichem Gutmensch als viele selbstsichere vokale Potenzbomben. Höhepunkte der Vorstellung setzt die 2024 mit dem Bayerischen Kunstförderpreis ausgezeichnete Mezzosopranistin Vero Miller mit einem intensiven und faszinierend gesungenen Sextus.

Roland H. Dippel

„Titus“ (1791/99) // Freie Bearbeitung von Wolfgang Amadeus Mozarts Opera seria „La clemenza di Tito“ in deutscher Sprache nach der Weimarer Fassung 1799