Meiningen / Staatstheater Meiningen (Februar 2022) „Santa Chiara“, eine fürstliche Oper von Herzog Ernst II. von Sachsen-Coburg und Gotha
Das erste Mal seit 1927 wagt sich Meiningen wieder an eine Produktion der Oper „Santa Chiara“ von Herzog Ernst II. von Sachsen-Coburg und Gotha. Die Uraufführung in Gotha dirigierte 1854 kein Geringerer als Franz Liszt. Die Musik des fürstlichen Komponisten klingt oft nicht nur nach „Freischütz“ und etlichen anderen Quellen, ob nun Marschner, Lortzing oder Donizetti. Auch Wagner und Meyerbeer gehören zu den Elefanten im Raum. Wer sich aber beherzt zu einem „Na und?“ aufrafft, kann gleichwohl an diesem Wechselspiel seine Freude haben. Zumal sich die Meininger Hofkapelle unter Leitung ihres GMD Philippe Bach offenbar zur Entdeckerlust entschlossen hat. Man kennt nichts wirklich und doch alles irgendwie.
So hilft die Musik über die verstiegene Zeitgeistigkeit des Librettos von Charlotte Birch-Pfeiffer hinweg. Inspiriert vom tragischen Schicksal der historischen Prinzessin Charlotte Christine von Wolfenbüttel, die nur 21 Jahre alt wurde, machte Birch-Pfeiffer aus den Legenden, die sich um Charlottes bedauernswertes Schicksal ranken, eine Opernvorlage. Als politisch „eingekaufter“ personeller Import wird die Prinzessin dem missratenen Sprössling von Peter dem Großen und dessen Ausschweifungen gleichsam zum Fraß vorgeworfen.
Regisseur Hendrik Müller bringt das Personal mit der Mätresse des Juniors und einer Queen Mum auf den Stand heutiger royaler Ikonografie. Er und Marc Weeger (Bühne) bleiben zeitlich im exemplarisch Ungefähren. Historisches wird von Katharina Heistinger (Kostüme) nacherfunden. All das trägt zur notwendigen Distanz der Szenen in den angedeuteten Drehbühnenräumen des Zarenpalastes bei.
Charlotte jedenfalls landet vergiftet im Sarg. Für den wundersamen Neustart in ein zweites Leben (nach der Pause) greift Jesus persönlich ein. So wird die Bedrängte zu einer Heiligen, die gut im Geschäft ist. Samt inszenierter Massenheilungen ihrer Anhänger, die – egal ob Mann oder Frau – in weißen Brautkleidern stecken und eine Zirkusmanege bevölkern. Hier gibt es auch das Finale, zu dem sich sowohl ihr Verehrer Victor als auch der mörderische, jetzt völlig abgedrehte Gatte einfinden.
Musiziert und gesungen wird grandios, an der Spitze Lena Kutzner als Prinzessin. An ihrer Seite brillieren Marianne Schechtel als Vertraute Bertha ebenso wie Patrick Vogel als ihr tenorschmachtender und -schmetternder Verehrer Victor de St. Auban. Der Wahnsinn des Zarewitschs ist bei Johannes Mooser gut aufgehoben.
Sicher wird die Musikgeschichte des 19 Jahrhunderts jetzt nicht neu geschrieben werden. Aber Meiningen bietet einen interessanten Ausflug genau dorthin, ohne dass man gleich im Museum landet.
Roberto Becker
„Santa Chiara“ (1854) // Romantische Oper von Herzog Ernst II. von Sachsen-Coburg und Gotha