Hildesheim / Theater für Niedersachsen (Februar 2025) Straus’ „Hochzeit in Hollywood“ als burleske und bittersüße Operetten-Spiele
Die Originalfassung von Oscar Straus’ Operette „Hochzeit in Hollywood“ spielt, bis die Sängerin Mizzi und der Politikersohn Felix ihre Beziehung jenseits des Atlantiks fortsetzen, an einer kleinen Bühne, die – Selbstreferenz darf sein – Straus’ Millionenerfolg „Ein Walzertraum“ auf den Spielplan setzt. Intendant Oliver Graf, die Dragqueen Loreley Rivers als Mizzi und das Ensemble des Theaters überspitzen in ihrer rauschhaften Operetten-Vergegenwärtigung. Aus dem Textbuch von Leopold Jacobson und Bruno Hardt entsteht eine fluide Traumfabrik mit sich auflösenden Kategorien von Frau- und Mann-Mustern. Die dunkel lockende Ausstattung von Sebastian Ellrich steigert sich zu einem Traum in Schwarz, Weiß, Gold.
Anstelle von Champagner perlen Selbstpositionierungen. Denn Sängerin Mizzi soll wegen bürgerlicher Ausgrenzungsschablonen auf den Staatssekretär-Sohn verzichten und tut das schmerzlich gründlich. In Amerika treffen beide wieder aufeinander: die sich im Showbiz ihren Platz erobernde Diva und der abgesunkene Felix, welcher sich als Escort und Statist verdingen muss. Die wortreichen Versprechungen „Glamour, Skandal und Drama“ löst man mehr als reichlich ein. Alles schwirrt durcheinander: Wien und US-Amerika und echte Gefühle in sich ständig ändernden Fassaden- und Showkonstellationen.
Das zeigt die Premiere am Vorabend des Wahlsonntags gründlich und macht dabei die Gattung der Operette vor 1933 als Austragungsort von Emanzipationsdiskursen so deutlich wie deren Relevanz im Hier und Jetzt. Konsequenterweise enthält das frühere Heile-Welt-Genre auch Zündstoff aus Phänomenen der Globalisierung. Der Chor (einstudiert von Achim Falkenhausen) ist eine geschlechtsneutrale Gruppe mit Fräcken und Fliegen, die tfn_philharmonie unter Florian Ziemen dazu eine Wucht. Annika Dickel hetzt die Showgirls und -boys durch ein geordnetes Nachtleben.
Rivers bringt alle liebenswerten Gesetzmäßigkeiten der Travestie ins Spiel und bedient alle Träume. Sie ist Diva, Domina, Dompteurin. Geschafft wird bei allen Alters- und Publikumsgruppen, dass niemand mehr über die Orientierungen Hetero/Homo/Bi und alles dazwischen nachdenkt. Die Gegebenheiten entwickeln eine eigene, lustvoll-schmerzliche Dynamik. Schmerzlich gilt vor allem für den von Eddie Mofokeng mit Groove und Gefühl dargestellten Nino Namara, Mizzis temporären Lover.
Sonja Isabel Reuter (Garderobiere/Bessie) gibt eine Lernbeflissene in Sachen Showbusiness, Andrey Andreychik (Präsident/Teddy Vandermeere) setzt seine Rollen an einer Schnittstelle von Modestar à la Andy Warhol und Bankdienstleister. Jan Kämmerer macht vor allem als Regisseur mit feinen karikierenden Bonmots beste Figur. Wenn die Hürden von Konvention, Reglements und Missverständnissen abgetragen sind, stehen die Figuren sich noch immer selbst im Weg. Felix bleibt am Ende allein auf der Bühne, da wirkt das letzte Oscar-Straus-Lied fast zynisch. Dabei ist es Tenor Julian Rohde, der die schönsten Lieder und Schlager singen darf.
Roland H. Dippel
„Hochzeit in Hollywood“ (1928) // Operette von Oscar Straus
Infos und Termine auf der Website des Theaters für Niedersachsen