Wer für die Pause der Uraufführung ein Lachscanapé bestellt hat, beißt mit einiger Beklemmung hinein. Den Vorbehalt bewirkt jenes Prachtexemplar des Raub- und Speisefischs, das Bühnenbildnerin Monika Pormale auf die Spielfläche wuchtet. Die eine Hälfte des Tieres ist komplett anzusehen, setzt sich aber die Drehscheibe in Bewegung, zeigt es sich filetiert, Rückgrat und Gräten stechen in den Raum. Der Riesenfisch weist nach Norwegen. Aus dem in der Sonne glitzernden Wasser springende Lachse bezeugen die übermütige Schönheit der Natur, auf der anderen Seite steht das raue Leben der Fischer. Unangepasste werden erbarmungslos aussortiert.

Librettistin Mari Mezei transformiert den 2014 erschienenen mit dem Titel der Oper gleichnamigen Roman des Norwegers Jon Fosse in ein Stationendrama. Die beiden Akte erzählen die Geschichte der zunächst hochschwangeren und dann jungen Mutter Alida und ihres Geliebten und Kindsvaters Asle. Beide sind mittellos und unverheiratet, es ergeht ihnen schlimmer noch als einst Maria und Josef. Hinter jeder Tür lauert Abweisung. Um Frau und Kind das nackte Überleben in unwirtlichen Novembernächten zu sichern, wird Asle zum dreifachen Mörder. Die Dorfbewohner lynchen ihn, Alida zieht des Kindes halber in die Heimat des weitaus älteren Asleik. Nach einem imaginären Dialog mit Asle ertränkt sie sich im Meer. Das Libretto erzählt über weite Strecken stringent, was aber nach Asles Tod geschieht, kommt als überlanger Epilog daher.

Eötvös erzeugt die Stimmungen und Farben der dreizehn Szenen seiner „Opera Ballad“ auf Basis jeweils eines der chromatischen Grundtöne. Den Quintenzirkel durchmessend, bezeichnet das h Anfang und Ende des Werks. Auch wenn Eötvös die Hardangerfiedel fasziniert, zitiert er norwegische Musik nur sparsam. Die Atmosphäre der Fjorde soll aus verminderten und das Somnambule dieser Welt evozierenden übermäßigen Dreiklängen in oft komplexer Schichtung erstehen. Zwei Vokaltrios figurieren gleichermaßen als Psyche Alidas und balladenhafte Erzählerinnen.

Regisseur Kornél Mundruczó betont weniger das Traumverlorene des Sujets als die Sozialreportage. Das Leben der Fischer ist hart, Alkohol, Prostitution und Lynchmord bieten willkommene Abwechslung. Monika Pormale staffiert ihren Riesenlachs mit realistischen Wohninterieurs aus, dem entsprechen Pormales wie zusammengewürfelte Kostüme.

Peter Eötvös leitet die Staatskapelle Berlin als versierter Anwalt seiner Partitur. Victoria Randem ist eine berührende Alida. Wo immer möglich, blüht sie vokal auf. Linard Vrielink lässt Asle auf unangenehmer kompositorischer Linie tenorale Höhen erklimmen. Als sich prostituierendes „Girl“ spannt Sarah Defrise virtuose Koloraturgirlanden. Den übelwollenden Man in Black gibt Tómas Tómasson mit bass-baritonaler Durchtriebenheit. Hanna Schwarz macht aus der kleinen Partie der herzlosen Old Woman ein Kabinettstück.   

Michael Kaminski

„Sleepless“ (2021) // Opera Ballad von Peter Eötvös