Für Puristen ist diese „Così“ eine Herausforderung. Eine echte Überraschung ist sie indes nicht. Denn Kirill Serebrennikov hat sie schon vor fünf Jahren aus seinem damaligen Moskauer Hausarrest mit Hilfe seines Anwaltes und eines Assistenten vor Ort in Zürich auf die Bühne gebracht. Damals ein Akt demonstrativer Solidarität mit dem vom Putin-Regime drangsalierten Theatermann.

Jetzt, da er seine Inszenierung in Berlin selbst neu einstudiert hat, ist der Bezugsrahmen erneut hochpolitisch. Diesmal wirkt es wie ein Reflex auf den Krieg im Osten Europas, wenn Ferrando (markant eloquent: Caspar Singh) und Guglielmo (mit virilem Bariton: Hubert Zapiór) nicht nur zum Schein, sondern tatsächlich in den Krieg ziehen. Hier ist es keine Finte Don Alfonsos (selbst glaubwürdig frustriert: Günter Papendell), um den Treuetest, dem er Dorabella (temperamentvoll zupackend: Susan Zarrabi) und Fiordiligi (selbstbewusst: Nadja Mchantaf) aussetzen will, glaubwürdig einzuleiten. Hier ist es todernst. Die beiden Männer werden geradewegs vom Fitness-Studio weg an die Front beordert. Sie fallen tatsächlich und kehren in Urnen zu den Frauen zurück.

Zumindest ist das der wahrscheinlichste Hintergrund für alles, was dann passiert. Dadurch umgeht die Regie die Klippe, den Frauen mit angeklebten Bärten und albernen Verkleidungen etwas vorzugaukeln. Diesmal sind wirklich andere Männer mit Modell-Optik die Verführer. Goran Jurenec als Guglielmo und Amer El-Erwadi als Ferrando-Wiedergänger sind nicht verkleidet, sondern sie entkleiden sich. Die Sänger steuern die Stimmen quasi als Untote bei, wenn die in den beiden Luxus-Schlafzimmern „ihren“ Frauen näherkommen. So wird aus der Versuchsanordnung eines Neu-Verliebens bei Abwesenheit der Partner ein Neu-Verlieben nach deren Verlust. Inhaltlich ist das zwar konventioneller als im Stück gemeint, aber in dieser Umsetzung des nur Angedeuteten in eine szenische Aktion, bei der es erotisch knistert und zur Sache geht, kommt man dem, was im 18. Jahrhundert nur verborgen intendiert war, näher als sonst. So wird auch Despina zur kämpferischen Feministin und nüchternen Psychologin. Dazu muss Alma Sadé nicht einmal (wie sonst) ihre Stimme verstellen.

Wenn sich die Frauen auf die beiden anderen Männer einlassen, könnte es sich aber auch um deren Wunschprojektionen handeln. Eine ernstere Ausgangsthese als sonst wird so zur Steilvorlage für eine turbulente Neuerzählung, mit viel ironischem Witz und mehr Sexappeal als üblich. 

Katharina Müllner gelingt es, die Herausforderungen des Wechsels der Gefühle im Graben mit denen der durchweg überzeugenden Protagonisten auf der Bühne zu verbinden. Bis hin zum eingeschmuggelten Zitat aus der „Don Giovanni“-Ouvertüre. Damit wird das Todernste von Serebrennikovs origineller Sichtweise resümiert. Es ist zugleich ein Verweis auf die mit ihm geplanten anderen beiden Da-Ponte-Opern an der Komischen Oper.

Roberto Becker

„Così fan tutte ossia La scuola degli amanti“ (1790) // Dramma giocoso von Wolfgang Amadeus Mozart