Amsterdam / Nationale Opera & Ballet (April 2025) Heillos vertrackte Regie und glänzende musikalische Ausleuchtung für „Die Frau ohne Schatten“
In dieser Inszenierung der „Frau ohne Schatten“ sind nicht nur Übermächte im Spiel. Finstere Gestalten zücken schnell ihre Pistolen und drücken auch ab. Auf ein totes Dienstmädchen mehr oder weniger kommt es bei Katie Mitchell in dem gespenstischen Gebäude, das ihr Ausstatterin Naomi Dawson gebaut hat, nicht an. Die Luxus-Etage für das Kaiserpaar ist von sterilem Schick. Bei den Färbers, die sich ein Stockwerk darunter offenbar aufs Dealen verlegt haben, blinkt ein kitschig bunter Weihnachtsbaum im Schlafzimmer.
Beängstigend düster erscheinen im dritten Aufzug die beiden zwischen Verließ und Heizungskeller changierenden unterirdischen Gewölbe-Etagen dieses metaphorischen Geisterhauses. Trotz aller angedeuteten, mit modernem medizinischem Gerät ausgestatteten Gegenwart herrscht hier der Geisterkönig Keikobad mit seinem Gefolge. Inmitten einer schießwütigen, bedeutungsschwanger vor- und rückwärts schreitenden Helfertruppe mit Wolfsmasken ist er am Gazellenkopf erkennbar. Dass die Kaiserin an diesem Aufzug ihres Vaters nichts findet, liegt wohl an der Verwandtschaft. Der Rest darf rätseln.
Das Bild des Schattens übersetzt Mitchell in Fotos permanent erzwungener Ultraschall-Untersuchungen der Frauen. Über die ethischen Grundsätze dieser autoritären Fruchtbarkeits- und Fortpflanzungsmedizin denkt man besser nicht nach – auch, wenn am Ende sowohl bei der Kaiserin als auch bei der Färbersfrau positive Befunde zu vermelden sind. Darüber darf sich sogar die kurzzeitig amnestierte Amme einen Moment lang mitfreuen. Allerdings nur, um danach mit den drei Brüdern Baraks erschossen zu werden. Was an diesem von der Regisseurin so bezeichneten „Science-Fiction-Thriller“ feministisch sein soll, können wohl nur die Übermächte aufklären, die angeblich im Spiel sind. Das Libretto der „Frau ohne Schatten“ ist an sich schon eine Herausforderung – wenn man die Geschichte noch vertrackter erzählen will, als sie ist, braucht man ein nachvollziehbares Konzept (wie Tobias Kratzer oder Claus Guth).
So erwächst dem Abend die Rettung ganz und gar aus der Musik. Und da steht mit Marc Albrecht – wie schon 2008 bei der Inszenierung von Andreas Homoki – ein „Frau ohne Schatten“-Spezialist am Pult des Nederlands Philharmonisch Orkest, der das Einfühlen in die Abgründe der Geschichte musikalisch glaubhaft macht. Bei ziemlich hochgefahrenem Graben bleibt das Ganze immer wohl dosiert. Dadurch werden opulentes Schwelgen und die lyrischen Momente zum Genuss. Auch auf der Bühne sind Daniela Köhler und AJ Glückert ein bewährtes Kaiserpaar. Josef Wagner versucht, die Güte Baraks nicht zu übertreiben. Auch Aušrinė Stundytė belässt es bei dosierter Hysterie, während sich Michaela Schuster mit ihrer ganzen Erfahrung auf die rabiate Amme einlässt, die ihr die Regie zugedacht hat.
Roberto Becker
„Die Frau ohne Schatten“ (1919) // Oper von Richard Strauss