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Rezensionen 2025/03

14. April 2025

Widerstand mit Nachleuchten

Dresden / Staatsschauspiel Dresden (April 2025)
Udo Zimmermanns „Weiße Rose“ in der rohen Erstfassung

Dresden / Staatsschauspiel Dresden (April 2025)
Udo Zimmermanns „Weiße Rose“ in der rohen Erstfassung

Zu Beginn: Stille. Junge Körper auf der Bühne, mit dem Rücken zum Publikum. Dann senkt sich ein Bild – schwer, stofflich, großformatig. Es zeigt eine Szene des Krieges: Soldaten, ein Leichenberg, in der Mitte der Schmerz. Erst getaucht in gelbes Licht, dann überblendet in Weiß, schließlich durchtränkt von einem diffusen Rot. Die Szene markiert nicht nur den Anfang, sondern eine Schwelle: Diese Inszenierung der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber und der Hochschule für Bildende Künste Dresden denkt Erinnerung nicht als Rückblick, sondern als Bewegung durch den Widerstand hindurch.

Inszeniert und neu aufgelegt wird die Uraufführungsfassung von Udo Zimmermanns Oper „Weiße Rose“ aus dem Jahr 1967 – keine der späteren Überarbeitungen, keine „gereinigte“ Kammeroper, sondern die rohe, dissonante Komposition eines damals 23-Jährigen, erweitert um neu komponierte Chor-Interventionen der Komponistin und koreanischen Masterstudentin Ji-Young Yoo. Diese Chöre – zwischen Zitat, Klage und kollektiver Erinnerung – bilden das pulsierende Nervensystem der Inszenierung. Und sie machen klar: Es geht nicht um Reenactment. Es geht um Haltung.

Das Bühnenbild spielt mit Metaphern, ohne sie zu erklären: Stoffbahnen, Projektionsflächen, ein trapezförmiger Container, der sich zur Gaskammer wandelt und wieder öffnet. Die Ensemblemitglieder treten aus dem historischen Kontext heraus, vergegenwärtigen ihn über Sprache, Körper, Klang. In einem Tableau vivant mit ikonografischer Anlehnung an Darstellungen der Weißen Rose wird aus Repräsentation eine Form von Gegenwart. Besonders eindrücklich: die Szene des Transports, in der das Publikum Zeuge einer stummen, choreografierten Gewaltspirale wird – mit reduziertem Licht, langen Schatten, einem durchlöcherten Banner mit Frauenbild. Man kann die Luft schneiden.

Musikalisch ist das Werk eine Zumutung – im besten Sinne. Zimmermanns Komposition wechselt zwischen Atonalität, Sprechgesang und eruptiver Rhythmik. Das Orchester unter der Leitung von Franz Brochhagen meistert diese Herausforderung souverän. Und es sind gerade die Brüche zwischen Gesang, Text, Klangflächen, die das Stück von didaktischer Dramatik abheben. Diese Musik will nicht gefallen. Sie will stören, stoßen, aufbrechen. Die neu hinzugekommenen choralen Miniaturen, basierend auf Tagebüchern, Briefen und Fragmenten des ursprünglichen Librettos, fügen sich mit stiller Wucht in das musikalische Gewebe der Inszenierung.

Inmitten dieses Spannungsfelds glänzt die junge Besetzung. Hervorzuheben ist Bassbariton Jonathan Koch in der Doppelrolle Alexander Schmorell/Oberarzt, der mit unvorhergesehener Bühnenpräsenz auf sich aufmerksam macht. Doch es ist die Ensembleleistung, die trägt: kein Pathos, sondern ein ernsthafter Zugriff auf Erinnerung, der spürbar werden lässt, was es heißt, sich in etwas hineinzubegeben, das größer ist als man selbst. Am Ende steht nicht die Frage „Würden sie es wieder tun?“, sondern: Was würde ich tun? Und vor allem: Würde ich überhaupt merken, dass es so weit ist?

Marcus Boxler

„Die Weiße Rose“ (1967) // Oper von Udo Zimmermann, ergänzt um Neukompositionen von Ji-Young Yoo

Infos und Termine auf der Website des Staatsschauspiels Dresden

7. April 2025

Mit Leidenschaft und Liebe

Regensburg / Theater Regensburg (April 2025)
Puccinis „Madama Butterfly“ in überraschend neuer Interpretation

Regensburg / Theater Regensburg (April 2025)
Puccinis „Madama Butterfly“ in überraschend neuer Interpretation

Die tragische Geschichte von Cio-Cio-San und Pinkerton kommt mit wenig Inhalt aus, bringt jedoch tiefste Gefühle auf die Bühne. „Madama Butterfly“ gehört zum Standardrepertoire aller großen Opernhäuser, die bekannten Arien summt jeder Opernfan begeistert mit. Doch der Stoff stellt Theater vor die Herausforderung, das antiquierte Frauen- und Asienbild zu transformieren, ohne den Gesang in den Hintergrund zu rücken.

Das Theater Regensburg lässt sich in seiner Inszenierung auf den Spagat zwischen spätromantischem Klangrausch und zeitgenössischer Interpretation ein. Butterfly trägt im ersten Akt ein gelbes Rüschenkleid, immer wieder wird die Sängerin gedoppelt durch ein gleichgekleidetes junges Mädchen. Cio-Cio-San ist eine 15-jährige Kindfrau, die Pinkerton nur zum Spaß und aus Langeweile heiratet. Sie gibt sich hin in tiefer Liebe und kindlicher Romantik, doch auch er reflektiert in der Regensburger Inszenierung. Quälend lange sitzt ein nachdenklicher Pinkerton am Bett einer fragenden, scheuen 15-Jährigen und hinterlässt ein erschrocken-berührtes Publikum in die Pause nach dem ersten Akt.

Regisseurin Juana Inés Cano Restrepo und Ausstatterin Anna Schöttl spielen mit fast überzeichneten asiatischen Bildern. Da hebt und senkt der Chor rote Lampions, eine übergroße japanische Sonne leuchtet mal ganz blass und dann wieder blutrot. Das Haus von Butterfly als halbverfallene Ruine verweist von Anfang an auf die Zerstörung eines ganzen Lebens und die kalte Kraft überkommener Traditionen. Folgerichtig ist Butterfly ab dem zweiten Akt keine Kindfrau mehr, sondern eine gereifte, erwachsene Alleinerziehende voller Sehnsucht. In Cargohose und Lederjacke seufzt sie frustriert in Richtung Meer. Rauchend wehrt sie die Geisha-Karriere ab, die nicht mehr als Prostitution ist.

Die Uraufführung 1904 an der Mailänder Scala war zunächst ein Misserfolg, der Komponist wandelte Partitur und Dramaturgie. Danach stieg die Oper auf zum Welterfolg, der bis heute anhält. In Regensburg gönnt man dem Publikum den Musikgenuss und den emotionalen Klangrausch, versucht jedoch eine vorsichtig-alternative Interpretation.

Theodora Varga beeindruckt als Butterfly mit überzeugendem Spiel und brillantem Gesang. Sie ist nicht mehr nur das zarte Opfer, die naiv Liebende. In Regensburg wird Butterfly zur Zigarette rauchenden, realistischen und auch wütenden, verlassenen Frau mit Geldnöten. Die stummen, auf der Bühne sehr präsenten Statistinnen machen den Konflikt zwischen Tradition und Aufbegehren sichtbar und direkt greifbar. Generalmusikdirektor Stefan Veselka dirigiert exakt und detailreich. Das Team des Theaters inszeniert kein Musikmärchen, sondern eine sehr reale, zeitlose Geschichte voller Liebe, Leidenschaft, Sehnsucht und Tiefe.

Claudia Erdenreich

„Madama Butterfly“ (1904) // Tragedia giapponese von Giacomo Puccini

Infos und Termine auf der Website des Theaters Regensburg

30. März 2025

Manchmal ist weniger mehr

Schwerin / Mecklenburgisches Staatstheater (März 2025)
Henry Purcells Weltabschiedswerk „Dido and Aeneas“ als Dauerfeuerwerk

Schwerin / Mecklenburgisches Staatstheater (März 2025)
Henry Purcells Weltabschiedswerk „Dido and Aeneas“ als Dauerfeuerwerk

Als sich nach 66 Minuten die Bühne leert und lediglich drei Tänzerinnen der Ballettcompagnie über die Bretter geistern, entfaltet sich der Zauber von Henry Purcells Partitur. Stille, doch mitnichten klanglose Augenblicke einer verdichteten Wahrheit, die das Publikum die ergreifende Natürlichkeit dieser Weltabschiedsmusik erfahren lässt. Und auch Chordirektor Aki Schmitt am Dirigentenpult der Mecklenburgischen Staatskapelle scheint aufzuatmen, dass er nun nicht mehr um den Zusammenhalt von Orchester und Sängern in einem darstellerischen Dauerfeuerwerk kämpfen muss, sondern nach den feinen, leisen Zwischentönen lauschen kann. Für einen langen und doch viel zu kurzen Augenblick offenbart sich, dass die magischen Musiktheater-Momente ebenso einfach wie elementar sind – mögen die Inszenierungsideen der Gastregisseurin Reyna Bruns und des Ballettdirektors Jonathan dos Santos für Purcells Ballettoper „Dido and Aeneas“ auch durchaus stimmig sein.

Der Dreiakter selbst ist als Einstünder alles andere als abendfüllend. In Schwerin entwickelt das Regieduo deshalb ein Vorspiel auf den ersten Satz von John Adams „Shaker Loops“: Was nicht nur die Nähe von Barock und Minimal Music illustriert, sondern den Titelfiguren eine gute (Logen-)Bühne bietet, um die Vorgeschichte dieser Begegnung der karthagischen Königin und des trojanischen Fürsten zu erzählen. Passend dazu entwirft Malte Lübben schlichte, kontrastierende Schwarz-Weiß-Kostüme und eine bühnenfüllende Mauer für Schattenspiele, die mit dem eigentlichen Opernbeginn zusammenstürzt und deren Steine fortan als Requisiten die Handlung durchkreuzen.

Womit das Tohuwabohu seinen Lauf nimmt, da Librettist Nahum Tate das kurze Liebesglück des Mythos von Dido und Aeneas durch eine eifersüchtige Zauberin erschwert und die Handlung verkompliziert hat. Warum selbige indes noch zu einem Conchita-Wurst-Verschnitt mutieren muss, erschließt sich bei allem Respekt vor Sebastian Köppls ordentlichem Tenor nicht – und ist doch nur einer von zahlreichen, sinnfreien Gags. So verliert sich immer wieder die wunderbare Idee, die Alter Egos der Liebenden wie auch Didos Vertrauter Belinda (mit leuchtendem Sopran: Anna Cavaliero) durch mit ihnen auftanzende Ballettmitglieder Gestalt annehmen zu lassen. Zumal es nicht bei einem Alter Ego bleibt, sondern Ekaterina Chayka-Rubinsteins Dido und Brian Davis’ Aeneas sich von einem halben Dutzend Tänzern umringt sehen.

Chapeau, dass sich die Mezzosopranistin von diesem Auftrieb in ihrer Präsenz nicht beeindrucken lässt. Sie weiß ihre warme, dunkel gefärbte Stimme nicht allein in den Höhen sicher zu führen und das berühmte Lamento „When I am laid in earth“ mit ebenso innigem wie würdevollem Ton anzustimmen. Davis als ihr männlicher Kontrapart kann da schon ob Purcells undankbar knapper Partie nur verlieren. Der Opernchor belässt es bei Natürlichkeit, die durchaus zu ergreifen vermag. Wie auch die Staatskapelle in ihrem federnd kantablen Musizieren Überakzentuierungen und übertriebenen rhythmischen Zugriff vermeidet und über weite Strecken auf Empfindsamkeit setzt.

Christoph Forsthoff

„Dido and Aeneas“ (1688/89) // Balletoper von Henry Purcell, mit einem Prolog zu Musik von John Adams

Infos und Termine auf der Website des Mecklenburgischen Staatstheaters

24. März 2025

Entwurzelt

Zürich / Opernhaus Zürich (März 2025)
Beat Furrers „Das große Feuer“ atmet den Klang einer sterbenden Welt

Zürich / Opernhaus Zürich (März 2025)
Beat Furrers „Das große Feuer“ atmet den Klang einer sterbenden Welt

Sein Lebensraum wird zerstört, seine Kultur belächelt und verachtet, sein eigenes Volk ist ihm fremd geworden. Sara Gallardos Roman „Eisejuaz“ (1971) ist ein hierzulande kaum bekanntes Stück Weltliteratur: die Geschichte eines Indigenen aus der nordargentinischen Region Chaco, geboren im Urwald, übersiedelt in eine christliche Mission und schamanisch verbunden mit der Natur. Er vertraut auf den Gott der Kolonisatoren, kommuniziert mit ihm aber über die „Botenengel“ seiner Vorfahren – Tiere, Hölzer, Elemente. Als der kommt, auf den Eisejuaz im Namen des Herrn zu warten glaubt, ist es ein rassistischer Weißer, Paqui. Allem Hohn zum Trotz nimmt sich Eisejuaz seiner an …

Ein vieldeutiger, zwischen bitterem Realismus und halluzinogenen Phantasmagorien changierender Stoff, den Beat Furrer für seine neunte Oper ausgesucht hat. Die Uraufführung am Opernhaus Zürich – geleitet vom Komponisten selbst – wird denn auch zum filigran gebauten Abgesang einer sterbenden Welt. Mit atmendem Holz und schneidendem Blech kündet die Philharmonia Zürich in einem gleißend-pulsierenden Klanggebilde vom Raubbau an unserem Planeten, untermalt von dissonanten Störsignalen in Tinnitus-Manier.

Murmeln ist beim von Cordula Bürgi einstudierten Vokalensemble Cantando Admont Methode. Daraus ergibt sich ein seltsam entrückter, stereophoner Chor, manchmal kaum vernehmbar, aber immer präsent – das Raunen der Vergangenheit. Sprechen ist ein zentrales Element in Furrers Partitur, genau wie der eigentümliche ständige Wechsel von deutscher Sprache und argentinischem Spanisch (Libretto: Thomas Stangl). Die zwölf Mitglieder von Cantando Admont treten für diverse Nebenrollen immer wieder aus dem Kollektiv hervor und meistern diesen Spagat mit Bravour.

Bariton Leigh Melrose legt den zwischen alter und neuer Welt zerriebenen Eisejuaz stimmlich plastisch an. Szenisch stößt er bei aller investierten Energie und überragenden Präsenz allerdings zwangsläufig an seine Grenzen – keineswegs selbstverschuldet, sondern weil die großen Qualitäten von Gallardos Roman sich in letzter Konsequenz nicht so recht auf die Bühne übertragen lassen wollen. „Eisejuaz“ ist der Bewusstseinsstrom eines Indigenen, die psychologische Studie eines Entwurzelten auf der Suche nach Sinn. Dieser unglaublich starke Gedankenfluss weicht in Stangls Libretto klassisch dramatischen Szenen, wodurch Geist und Zwischentöne zumindest stellenweise auf der Strecke bleiben. Genau wie die religiöse Inbrunst der Titelfigur, die Bedeutung der dem Tode entrissenen Muchacha (berührend: Sarah Aristidou) und insbesondere von Eisejuaz’ Nemesis Paqui (Andrew Moore). Letzterer wirkt in der Zürcher Lesart mit Anzug und Sonnenbrille wie ein klischeehaft auf diabolisch getrimmter (und keineswegs im Schlamm liegender) Fremdkörper. In solchen Momenten verschenken Tatjana Gürbaca und ihre Co-Regisseurin Vivien Hohnholz mehr als nur eine Chance, zumal einige der stärksten Buchpassagen entweder allzu komprimiert (die „familiäre“ Zweckgemeinschaft im Wald) oder gleich ganz außen vor gelassen werden, mutmaßlich aus Angst vor Kontroversen (Eisejuaz’ drastische Selbstoffenbarung indigener Selbstjustiz).

Nichtsdestotrotz ist „Das große Feuer“ nicht nur hörens-, sondern auch sehenswertes Musiktheater. Einmal, weil es eine relativ simple Kulisse aus schmutzigen Schieferwänden und Holz-Eisen-Stäben (Bühne: Henrik Ahr) mit Schattentänzen (Licht: Stefan Bolliger) und folkloristischen Versatzstücken (Kostüme: Silke Willrett) unglaublich atmosphärisch ausleuchtet. Vor allem aber, weil sich darin dem Körper abgerungene Kunst abspielt, die den Strudel des Zerstörens in Erinnerung ruft: einer Kultur, eines Volkes, einer ganzen Lebensweise.

Florian Maier

„Das große Feuer“ (2025) // Oper von Beat Furrer

Infos und Termine auf der Website des Opernhauses Zürich

18. März 2025

Zerfasert

Hamburg / Staatsoper Hamburg (März 2025)
Viele Doubles für Donizettis „Maria Stuarda“

Hamburg / Staatsoper Hamburg (März 2025)
Viele Doubles für Donizettis „Maria Stuarda“

Im Zentrum von Donizettis Belcanto-Oper „Maria Stuarda“ steht der Streit der beiden Königinnen Elisabeth I. und Maria Stuart um Macht und Liebe. Beide begehren den Grafen Leicester, woraus ein Sog an Eifersucht entsteht, der sich beim Aufeinandertreffen entlädt.

Karin Beier setzt in der allerersten Inszenierung dieses Werks an der Staatsoper Hamburg vor der Musik auf das Wort: Statt die Ouvertüre erklingen zu lassen, tritt ein Elisabetta-Double auf und spricht einen Prolog. Selbiges wiederholt sich mit einem Maria-Double im zweiten Akt. Gerne würde man diesem Regie-Einfall etwas abgewinnen, die Monologe bieten aber keinen inhaltlichen Mehrwert, nehmen dem Musiktheater allerdings Wirkung. Neben Maria und Elisabetta befinden sich je bis zu fünf Doubles auf der Bühne, mit denen Beier die Innenwelten der Königinnen in unterschiedlichen Facetten nach außen kehrt, die Hauptdarstellerinnen selbst aber mitunter blass wirken lässt.

Wenn Elisabetta sich von Maria verfolgt fühlt, überzeugen die Doubles – sie ist plötzlich überall. Dass die echte Maria mehr das Publikum als Elisabetta anfleht, obwohl sie neben dieser kniet, lässt viel Intensität auf der Strecke. Auch der Streit um Leicester verliert sich etwas. Insgesamt wird das Ringen der Königinnen nicht schlüssig dargestellt, wodurch der Kern der Oper zerfasert. Das Ende misslingt gänzlich: Scheinwerfer werden heruntergelassen, zwei Kameraleute kommen auf die Bühne, und während man noch rätselt, was das alles soll (eine Anspielung auf Reality-TV-Shows?), legt Maria sich auf einen Schreibtisch, und der Schlussakkord erklingt. All das wirkt so unfertig, dass nur zu hoffen bleibt, dass die der Premiere vorausgegangenen Streiks die Erklärung dafür sind.

Die trist-graue Bühne von Amber Vandenhoeck, in Gefängnis-Optik beleuchtet von Neonröhren, und die großflächigen düsteren Videoprojektionen von Severin Renke sorgen für starke Bilder. Besonders intensiv: Maria vorne mit Glatze und eine ästhetisierte Rasier-Szene als Video. Die Kostüme von Eva Dessecker setzen historisierende Akzente bei Elisabetta und Maria, der Rest ist neutral modern in Schwarz gehalten, wovon sich der glänzend rote Lack-Mantel Elisabettas abhebt und Assoziationen zu Macht und Fetisch auslöst.

Barno Ismatullaeva beeindruckt als perfekte Elisabetta mit durchschlagender und kalter Klarheit, die sie mit einer nahezu beängstigenden Leichtigkeit abliefert. Ermonela Jaho gibt die Stuarda anfänglich zart und zurückhaltend, selbst in schwindelerregenden Höhen – singt sich aber auch voluminös in Rage, wovon man sich mehr wünscht. Long Long kann mit seiner vollen, emotional timbrierten Stimme als Leicester überzeugen, ist jedoch zu weinerlich. Musikalisch fallen vor allem das beschwingte Dirigat von Antonino Fogliani auf und der heimliche Star des Abends: Chorleiter Eberhard Friedrich, der sich mit dieser Produktion in den Ruhestand verabschiedet, nicht ohne einen beeindruckenden Klangkörper zu hinterlassen – himmlisch schön das „Deh! Tu di un’umile preghiera“.

Christoph Oscar Hofbauer

„Maria Stuarda“ (1834/35) // Tragedia lirica von Gaetano Donizetti

Infos und Termine auf der Website der Staatsoper Hamburg

17. März 2025

Lichtspiele im klinischen Raum

Berlin / Komische Oper Berlin (März 2025)
Philip Glass’ „Akhnaten“ in faszinierend artifizieller Ästhetik

Berlin / Komische Oper Berlin (März 2025)
Philip Glass’ „Akhnaten“ in faszinierend artifizieller Ästhetik

Kaum etwas ist über den Pharao verbrieft. Sein Glanz aber strahlt bis heute, mehr noch der seiner Gemahlin Nofretete. Vor 3.350 Jahren führte Echnaton den Monotheismus ein und platzierte seine Frau gleichberechtigt neben sich. Er gründete die neue Hauptstadt, dem singulären Gott Aton gewidmet. Die Nachwelt recycelte die alte Ordnung und tilgte die Erinnerung an den damals modernen Herrscher. Für Philip Glass ist Echnaton ein Meilenstein. Der amerikanische Komponist widmete ihm 1984 die dritte seiner Porträtopern nach „Einstein on the Beach“ und dem Mahatma Ghandi zugedachten Werk „Satyagraha“, die alle im Repertoire etabliert sind.

Ex-Intendant Barrie Kosky inszeniert „Echnaton“ („Akhnaten“) an der Komischen Oper Berlin ohne Firlefanz. Glass gestaltete im Team mit Shalom Goldman, Robert Israel, Richard Riddel und Jerome Robbins auch das Libretto mit ägyptischen, akkadischen, hebräischen, englischen und deutschen Vokabeln. Dabei streuten sie Geschehnisse jenseits der Evidenz ein, zum Beispiel den Sturm auf Echnatons Palast und seine Ermordung. Es gibt keine lineare Handlung, die Figuren bleiben konturlos. Kosky geht noch weiter. Er verzichtet auf Zeitbezüge oder pharaonisches Kolorit und wechselt konsequent ins Abstrakte. Klaus Grünberg schafft ihm auf der Drehbühne einen klinisch weißen Raum, der Requisiten überflüssig macht. Zahlreiche Lichteffekte illustrieren die Szenen. Optisch dominiert Schwarz-Weiß (Kostüme: Klaus Bruns), nur das Herrscherpaar trägt manchmal Farbe.

Kosky konzentriert sich präzise auf Stimmungen. Grandios gelingt ihm das in der martialischen Begräbniszeremonie für Amenophis III. Echnaton folgt ihm, krempelt die Theologie um, widmet sich Nofretete. Das Liebesduett der beiden markiert einen starken, innigen Moment, ebenso die brachiale Palast-Zerstörung samt Echnatons Tod. Der Mob stampft und fuchtelt. Manches wirkt ätherisch, dann wieder hysterisch. Der Regisseur bewegt mit choreografischem Gespür die Massen zwischen Schleichen und entfesselten Emotionen, oft scheinen es rituell konnotierte Gesten zu sein. Im Zentrum steht der Pharao, meist im Kleid als androgynes Wesen, von Countertenor John Holiday fulminant gesungen. Neben ihm bestechen vor allem Susan Zarrabi (Nofretete) und die Teje von Sarah Brady. Aus dem Off liefert der Chronist (Peter Renz) Hinweise zum Geschehen und agiert im Finale als Guide, der Touristen durch die Ruinen der zerstörten Hauptstadt Achet-Aton leitet.

Die Endlosschleifen von Glass’ Minimal Music liegen bei Jonathan Stockhammer und dem von ihm straff dirigierten Orchester der Komischen Oper in besten Händen. Die Klänge elektrisieren, betören und sorgen für fiebernde Spannung. Kosky schafft eine faszinierend artifizielle Ästhetik mit einem grandios motivierten Ensemble und nimmt mit Finesse die Popkultur-Spur auf. Dennoch dehnt sich der Abend am Ende etwas zäh auf drei Stunden, und die bedeutungsschwer verrätselten Bilderfluten verlieren ihre Intensität. Subtil gerafft, wäre dieser „Echnaton“ noch überzeugender. Das Publikum jubelt.

Jürgen Rickert

„Akhnaten“ („Echnaton“) (1984) // Oper von Philip Glass

17. März 2025

In der Fahrradwerkstatt

Salzburg / Salzburger Landestheater (März 2025)
Flotows „Martha“ als moderne Liebesgeschichte

Salzburg / Salzburger Landestheater (März 2025)
Flotows „Martha“ als moderne Liebesgeschichte

Wie würde sich eine Liebesgeschichte zwischen zwei Menschen aus unterschiedlichen Schichten – aus reichem Hause und vermeintlich der Arbeiterklasse – heute abspielen? Das zeigt Regisseurin Christiane Lutz mit Friedrich von Flotows Oper „Martha“ im Salzburger Landestheater. Die modernen Kostüme (Dorothee Joisten) wechseln dabei je nach Situation.

Trotz des märchenhaften Themas – ein Ring bringt durch die Klarheit über die Herkunft des Fahrradmechanikers die Wende – enthält die Aufführung eine erstaunliche Aktualität. Nicht nur dadurch, dass Lady Harriet Durham, alias Martha, mit Laptop und Smartphone agiert, WhatsApp-Nachrichten erhält oder Dating-Seiten konsultiert, sondern besonders durch die zeitlose Botschaft am Schluss: „Zum Heile, zum Glücke das Dasein uns ruft.“ Fantasievoll gewinnt Harriet ihren „Herrn, den Fahrradmechaniker Lyonel“, bei dem sie sich in einem Schabernack als Magd verdingt hat, zurück, als sie erfährt, dass er standesgemäß ist.

Der Untertitel der Oper „Der Markt zu Richmond“ weist auf den Ort der Handlung hin. Dieser wird in der Inszenierung zum Platz vor einem Fahrrad-Reparaturgeschäft (Bühne: Natascha Maraval). Bei Bedarf wird diese Szenerie durch die Drehbühne in Harriets Zimmer verwandelt, von dem aus ein Aufzug nach draußen führt. Dessen Bewegung nach unten wird per Videoproduktion (Tobias Witzgall) gezeigt. Sie stellt quasi die Verbindung zwischen Adel und Bürgertum, beziehungsweise eines Lebens voller Reichtum und Langeweile mit dem Trubel des Marktplatzes dar, wo viele „Mägde“ beim „Jobcenter“ Arbeit suchen.

Am Pult des Mozarteumorchesters Salzburg steht Dirigent Tobias Meichsner. Der Chor des Salzburger Landestheaters glänzt sowohl schauspielerisch als auch musikalisch („Ich kann nähen“). Einige Solopartien werden von Chormitgliedern bestritten, die umfangreichste davon übernimmt Mona Akinola als herausragende Nancy. Überwältigend sind die Darbietungen der Ensemblemitglieder, die voller Koloraturen und im Terzett oder Quartett mit stimmakrobatischer Aussprache glänzen. George Humphreys (Plumkett) und Daniele Macciantelli (Lord Tristan) als Vertreter der beiden Schichten beeindrucken ebenso wie Nicole Lubinger als Lady Harriet. Hinreißend singt sie die Arie „Letzte Rose“, die wie ein roter Faden durch die Oper führt – von der Ouvertüre und in verschiedenen Variationen bis in den vierten Akt. Tiefgreifend und ausdrucksstark sind Luke Sinclairs Tenorarien „Ach so fromm“ und „Mag der Himmel euch vergeben“ – ein Lyonel voller Emotion und Dramatik. Was zunächst wie Tragik aussieht, löst sich am Ende in Wohlgefallen und erfüllte Liebe auf.

Brigitte Janoschka

„Martha oder Der Markt zu Richmond“ (1847) // Romantisch-komische Oper von Friedrich von Flotow

Infos und Termine auf der Website des Salzburger Landestheaters

5. März 2025

Waldmenschen im Stehtheater

Wien / Wiener Staatsoper (März 2025)
Bellinis „Norma“ ohne Spannung und große Emotionen

Wien / Wiener Staatsoper (März 2025)
Bellinis „Norma“ ohne Spannung und große Emotionen

Seit 28 Jahren war in Wien keine szenische „Norma“ mehr zu sehen, und nun erlebt man zwei Neuproduktionen innerhalb einer Woche. Die Abstimmungsprobleme der Wiener Opernhäuser haben den Vorteil, dass bei plötzlicher Erkrankung von Juan Diego Flórez ein anderer, eingesungener Pollione in der Stadt weilt. Während Flórez in der Generalprobe den liebenden, zärtlichen Verführer von unschuldigen Priesterinnen ausgezeichnet mimt und mit stimmlicher Schönheit aufwartet, gibt sich Einspringer Freddie De Tommaso eher als arroganter, grober Machtmensch mit Hitlerbärtchen, der wie ein Schlächter ein Unschuldslamm zur Schlachtbank (ent)führen will. Diese Pollione-Charakterisierung wird von der Produktion des MusikTheaters an der Wien übernommen und passt dort besser zum Gesamtkonzept. Zwar verfügt De Tommaso über die nötige Stimmkraft und Dynamik, jedoch nicht über schön-geschwungene Legato-Linien, Geschmeidigkeit und strahlende Höhe. Ideale Sänger für diese Rolle sind beide Tenöre nicht.

Federica Lombardi ist als große Mozart-Interpretin mit lyrischem Sopran bekannt und zeigt bei ihrem Rollendebüt eine würdevolle Oberpriesterin, leidende Frau und liebende Mutter. Ihre Rachegelüste wirken weniger glaubwürdig als ihr Wunsch nach Liebe und Frieden, dramatische Steigerungen fehlen leider. Mit technischer Bravour, schönem Legato und weitgespannten Kantilenen meistert sie die anspruchsvolle Partie, sollte aber noch viel mehr berühren – wie beim innigen Gebet an die Mondgöttin oder bei ihrer Schlussarie. Auch der eine oder andere Spitzenton gelingt nicht glasklar. Die herrliche Höhe sticht bei Vasilisa Berzhanskaya als gehemmte Adalgisa heraus – ebenso ihre gehaltvollen tiefen Lagen, große stimmliche Agilität und eine umfassende Stimmgewalt. Man fragt sich, ob hier nicht eine zukünftige Norma zu erleben ist. Mit kräftigem, noblem Wohlklang-Bass verleiht Ildebrando D’Arcangelo dem greisen Vater Oroveso passendes Profil.

Michele Mariotti führt die Wiener Philharmoniker mit spielerischer Brillanz und kantabler Intensität in die geheimnisvolle Druiden-Welt. Besonders die charakteristische Einleitung am Anfang des zweiten Aktes erzeugt herrliche farbenreiche Klangschönheit und vermittelt eine beklemmende Stimmung, als Norma ihre Kinder töten will. Mit sensationeller Leistung beeindruckt auch der Chor, der den Schlusston von „Casta diva“ langgezogen hinwegschweben lässt.

Die Inszenierung von Cyril Teste zeigt die Druiden gekleidet wie Soldaten der Résistance, die sich als Gefangene ihrer Stadt verteidigen müssen; angesiedelt in einer Fabrikhalle, die auch als Lazarett dient. Umbauten gelingen ohne störende Pausen, wenn wenige Mauerteile einen Tempel stimmig darstellen oder das Esszimmer von Norma gezeigt wird. Allgegenwärtig ist der Wald als Projektion, wo mit Farben verschiedene Stimmungen erzeugt werden. Die Figuren sind offensichtlich Waldmenschen mit einem Fetisch für farbenreiche Tücher, die in religiös-rituelle Choreografien – etwas linkisch – eingebaut werden. Leider fehlt jegliche Personenführung, meist wird statisch gestanden und die Beziehungen zwischen den Protagonisten kommen darstellerisch nicht zum Ausdruck. Da hilft auch kein Live-Video mit berührenden Projektionen der Gesichter auf dem durchsichtigen Vorhang.

Susanne Lukas

„Norma“ (1831) // Tragedia lirica von Vincenzo Bellini

Infos und Termine auf der Website der Wiener Staatsoper

3. März 2025

Am Abgrund

Dessau / Anhaltisches Theater (März 2025)
Die betörende Expressivität von Bergs „Wozzeck“

Dessau / Anhaltisches Theater (März 2025)
Die betörende Expressivität von Bergs „Wozzeck“

Georg Büchner und auch Alban Berg sind Menschen- und Weltsezierer, deren Dringlichkeit sich längst von selbst versteht: der Mensch als der Abgrund. Wozzeck ist einer davon, der „wie ein offnes Rasiermesser durch die Welt“ läuft. Für das früh verglühte Dichtergenie Büchner war das Schicksal des 1824 hingerichteten Mörders so schreiend existenziell, dass er 1836, ein Jahr vor seinem Tod, sein Dramenfragment der Nachwelt zum Fraß vorwarf. Berg machte es 1925 zum operngeschichtlichen Ereignis!

Mit „Wozzeck“ ist ein Theater per se auf der richtigen Seite, weil es immer noch Abgründe und verhetzte Leut gibt. Und, weil man mit Büchner immer noch befürchten muss, dass Pfützen eigentlich Löcher in der Welt sind, in denen man auf Nimmerwiedersehen verschwinden kann. Vielleicht lassen sich Christiane Iven (Regie) und  Guido Petzold (Bühne) bei ihrer jüngsten Inszenierung (die zugleich der Beitrag des Anhaltischen Theaters zum 33. Kurt Weill Fest ist) von dieser Metapher leiten, wenn sie auf der Bühne einen Teich platzieren. In ihm verschwindet zwar niemand, aber Marie endet darin, nachdem Wozzeck sie mit brutaler Wucht erstochen hat.

Zwei Wände deuten die Innenräume an. Dahinter rumoren eine Waldprojektion und Gestrüpp. Wenn die beiden Wände nach oben entschweben, ist man im Freien, aber nicht in der Freiheit. Neben der Waldromantik gibt es auch eine beklemmende Backsteinfassade. Innen überzeichnet Arnold Bezuyen treffsicher einen Hauptmann in Unterhose zur Uniformjacke, der Wozzeck beim Rasieren für dumm verkauft. Hier versucht auch Michael Tews jenem Doktor einen Anschein von Seriosität zu verleihen, der Wozzeck als medizinisches Versuchskaninchen benutzt.

Kay Stiefermanns Wozzeck ist zwar nicht nackt, aber der Overall ist durchsichtig (Kostüme: Kristina Böcher). Bei seinem Sohn gleicht nicht nur diese Äußerlichkeit der des Vaters – wohl ein Zeichen für das ihm vorbestimmte Schicksal. Am Ende hat er das Messer in der Hand, mit dem Wozzeck Marie erstochen hat. Den Tiefpunkt der Erniedrigung erreicht er, wenn ihn der Tambourmajor, für den sich Torsten Kerl vokal und körperlich gewaltig aufplustert, als Urinal benutzt. So wie Stiefermann für die intensive Interpretation der tragischen Titelfigur bewusst eine gewisse Brüchigkeit einsetzt, lässt Ania Vegry die betörende Leuchtkraft ihrer Stimme als Marie aufscheinen und setzt dem Ensemble, das mit dieser düsteren Geschichte fasziniert, ein vokales Glanzlicht auf. Markus L. Frank entfaltet am Pult der Anhaltischen Philharmonie zu alldem die betörende Expressivität der Musik von Berg mit spätromantischer Geschmeidigkeit.

Roberto Becker

„Wozzeck“ (1925) // Oper von Alban Berg

Infos und Termine auf der Website des Anhaltischen Theaters

28. Februar 2025

Subversives Potenzial

Düsseldorf / Deutsche Oper am Rhein (Februar 2025)
„Lady Macbeth von Mzensk“ erhebt Schostakowitschs Musik zum Protagonisten

Düsseldorf / Deutsche Oper am Rhein (Februar 2025)
„Lady Macbeth von Mzensk“ erhebt Schostakowitschs Musik zum Protagonisten

Natürlich hat Stalins Urteil „Chaos statt Musik“ der Oper über die Kaufmannsfrau Katerina Ismailowa mehr genützt als geschadet – zumindest auf lange Sicht. Wenn einem allmächtigen Diktator etwas so missfällt, dann muss es subversives Potenzial haben: also bedeutende Kunst sein. Die Russen jedenfalls, die das Werk in den zwei Jahren zwischen der Leningrader Uraufführung 1934 bis zur Verbannung von den Bühnen kennenlernten, waren begeistert. Wohl, weil sie sich verstanden fühlten. Heute, 50 Jahre nach dem Tod des Komponisten, hat seine „Lady Macbeth von Mzensk“ einen Stammplatz im Repertoire. Auch dank der Düsseldorfer Oper, an der sie 1959 das erste Mal auf einer deutschen Bühne zu sehen war.

Elisabeth Stöppler lässt in ihrer Inszenierung dem aus Belarus stammenden Chefdirigenten an der Deutschen Oper am Rhein, Vitali Alekseenok, allen Raum, um mit den Düsseldorfer Symphonikern die grandiose Musik Schostakowitschs zum wichtigsten Protagonisten dieser Produktion zu erheben. Das gilt für die Orchesterpassagen, aber auch für das dramatische Parlando. Manchmal nimmt Stöppler sich vielleicht sogar etwas zu sehr mit ihrer Bildsprache zurück. Bei der Hochzeitsszene etwa, wenn der Pope die Sonne hochleben lässt (als wäre er der Generalissimus im Kreml), oder bei der Groteske auf der Polizeistation. Andererseits hätte man die orgiastische Musik zur Liebesnacht von Katerina und ihrem körperlich und stimmlich vor Vitalität strotzenden Liebhaber Sergej (Sergey Polyakov) nicht unbedingt mit einer gerade noch erkennbaren schnellen Nummer an der Tür illustrieren müssen. Hier ist die Musik so überdeutlich, dass man staunt, wie sie der Sowjet-Zensur seinerzeit durch die Lappen gehen konnte.

Annika Haller verzichtet für ihr fast schon abstraktes Zimmerlabyrinth unter einem Neonrahmen auf jede naturalistische Folklore. Sie beschränkt sich stattdessen mit geradezu klinischer Sterilität auf einen exemplarischen Raum. Das Rattengift für den übergriffigen (und bei Andreas Bauer Kanabas stimmgewaltigen) Schwiegervater lässt sich ebenso in einer modernen Küche unter die aufgewärmten Pilze mischen. Auch für die verpackte Leiche des aus dem Weg geräumten Ehemanns Sinowij (Jussi Myllys) findet sich da ein, wenn auch schlecht getarntes, Plätzchen. Der tote Schwiegervater geistert ohnehin wie das personifizierte schlechte Gewissen des Mörderpärchens durch die Szenerie. Der Marsch in die Verbannung wird in dieser Einheitsbühne – eher in oratorischer Formation – zelebriert. Als Katerina wird Izabela Matula zum vokalen und darstellerischen Kraftzentrum inmitten des durchweg fabelhaften Ensembles. Zudem ist ab und zu ein Dutzend Musiker mit seinen Trompeten und Posaunen auf der Bühne oder im Rang nicht nur zu hören, sondern auch zu sehen.

Roberto Becker

„Леди Макбет Мценского уезда“ („Lady Macbeth von Mzensk“) (1934) // Oper von Dmitri D. Schostakowitsch

Infos und Termine auf der Website der Deutschen Oper am Rhein