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Von künftigen Träumen

Klassik-Shootingstar Äneas Humm im Gespräch

Klassik-Shootingstar Äneas Humm im Gespräch

„Wunderkind“ und „OPUS Klassik-Nachwuchskünstler des Jahres“: Der junge Schweizer Bariton Äneas Humm hat sich mit gerade einmal 27 Jahren auf dem hart umkämpften Sängermarkt etabliert. Ein Gespräch über Erwartungsdruck, eine Generation im Lockdown-Modus, die Liebe zum Lied und zur Heimat – und die ­Schattenseiten einer nach außen hin weltoffenen Branche

Interview Florian Maier

Mit nur 19 Jahren widmete Ihnen das Schweizer Fernsehen eine Reportage: „Ein Wunderkind wird ­erwachsen“. Ein Titel, mit dem Sie sich wohlfühlen?
Ich finde, da ist nichts Wahres dran. Wenn man „Wunderkind“ hört, dann denkt man an Mozart oder an ­Schubert – und von denen bin ich kilometerweit entfernt. (lacht) Das eigentliche Wunder war, dass ich eine so reiche Ausbildung genossen habe als Kind, angefangen bei meiner Zeit als Zürcher Sängerknabe bis hin zu Jugendmusikwettbewerben. Da steckt harte Arbeit dahinter. Und viel Glück. Deshalb finde ich es so wichtig, Kinder und Jugendliche musikalisch zu fördern, sei es im Pop oder in der Klassik. Das öffnet so viele Türen im Leben.

Und doch war da immer der Erwartungsdruck „Weltkarriere“. Wie geht man damit um?
Gar nicht – ich denke immer von Vorstellung zu Vorstellung.

Sie haben die harte Bühnenrealität in einem Alter kennengelernt, als andere noch neben der Schule ihre Freizeit genossen haben. Hieß das oft auch zurückstecken?
Als Sänger steckt man immer zurück: nicht feiern, nicht trinken, nicht zu viel Spaß haben. Aktuell habe ich fünf Vorstellungen mit drei Partien hintereinander. Das schafft man nur mit einem durchgetakteten Plan und Disziplin. Aber die Musik gibt einem so viel und das ist das Schöne.

Bleibt da noch Zeit für Hobbys?
Seit etwa einem Jahr treibe ich sehr viel Sport. Das Auspowern tut mir auch für die Bühne unglaublich gut. Und natürlich besuche ich sehr gerne meine Familie und treffe Freunde. Das ist ja das Tolle als Musiker: Egal wo man hinkommt, man kennt eigentlich immer jemanden.

Väterlicherseits bringt Ihre Familie seit Generationen Künstlerpersönlichkeiten hervor: Schriftsteller, ­Maler und Bühnenbildner, Schauspieler, Keramiker. War Ihr Weg quasi vorgezeichnet?
Geprägt hat mich das auf jeden Fall. Wobei selbst mein Großvater Ambrosius Humm, der in ganz Europa Bühnenbilder entworfen hat, nie sonderlich opernaffin war – da bin ich tatsächlich der Erste. (lacht) Aber natürlich wurde mir durch meine Familie sehr früh ganz generell der Zugang zu Theater, Kunst und Musik eröffnet.

Ein Plan B kam nie infrage?
Doch, aber der ist auch künstlerischer Natur. Ich denke jetzt noch nicht ans Aufhören, finde es aber wichtig sich zu fragen: Was würde ich machen, wenn es plötzlich nicht mehr weitergehen sollte mit dem Gesang? Dann würde ich eines Tages gern die Seiten wechseln, weil ich mich wahnsinnig für künstlerische Planung, Operndirektion und Casting interessiere.

Schätzen Sie Ihre Laufbahn in dieser Hinsicht als Vorteil ein?
Eigene Bühnenerfahrungen halte ich bei Casting-Direktoren nie für verkehrt. Jemand plant ganz anders, wenn er weiß, wie es ist, so oft aufzutreten, und welche Regenerationszeiten man beachten sollte.

Die Opernhäuser dürfen für die nächsten Jahrzehnte also schon mal ihre Kalender zücken?
Sehr gerne. (lacht)

Von künftigen Träumen zurück zum aktuellen Aufbau Ihrer Karriere: Wurde diese durch Corona ausgebremst?
Ich hatte im Gegensatz zu vielen anderen das Glück, während all der Lockdowns fest engagiert gewesen zu sein. Aber der größte Rückwurf passierte tatsächlich während meiner Zeit in Weimar, als mich der damalige Operndirektor anrief: „Äneas, es tut mir leid, aber wir müssen die ‚Così‘ komplett absagen.“ Ich habe das erst nicht realisiert, dachte, es ginge um zwei oder drei Vorstellungen. Ein paar Minuten später meldete er sich direkt noch einmal: „Achja, ‚Ariadne‘ ist abgesagt, ‚West Side Story‘ auch – es ist alles abgesagt.“ Da habe ich ihn gefragt, was ich denn jetzt bitte noch machen soll. Und er meinte nur: „Ich weiß es auch nicht. Fahr nach Hause …“

Und dort?
Ich habe versucht, meine Stimme fit zu halten, viel geübt, über Zoom Unterricht bei meinem Lehrer genommen.

Und Sie sind mitten in der laufenden Spielzeit 2019/20 nach Karlsruhe gewechselt.
Genau. In Weimar wurde alles abgesagt und was in meiner zweiten Saison gekommen wäre, war überhaupt nicht klar. Ich habe also um Vertragsauflösung gebeten und konnte in Karlsruhe an einem größeren Haus den nächsten Karriereschritt mit sehr schönen Partien machen: „Die Zauberflöte“, „Don Pasquale“, „Die schweigsame Frau“, Schumanns „Faust“-Szenen. Abgesehen von „Don Pasquale“ musste zwar wieder ­alles abgesagt ­werden, aber das Einstudieren hat sich auf jeden Fall gelohnt.

In der laufenden Spielzeit ist Äneas Humm Ensemblemitglied am Theater St.Gallen und dort unter anderem als Dr. Falke im Johann-Strauss-Klassiker „Die Fledermaus“ zu erleben (Foto Ludwig Olah)

Erst Weimar, dann Karlsruhe, jetzt St. Gallen: sehr schnelle Schritte in Ihrem jungen Alter.
Ganz unabhängig von der Pandemie bin ich eigentlich immer wegen der mir angebotenen Partien gewechselt. Es gibt natürlich Stimmen, die meinten: „Das sieht nicht gut aus, dass du schon so oft das Haus gewechselt hast.“ Aber wegen Corona sind zwei Jahre verstrichen, in denen wichtige Erfahrungen ausgeblieben sind und das für eine sängerische Laufbahn nötige Rollenpaket nicht wirklich erarbeitet werden konnte. In zehn Jahren wird man das in vielen Lebensläufen merken, wenn man die nächsten Schritte nicht jetzt plant. Als dann der St. ­Galler Operndirektor Jan Henric Bogen mit dem Angebot auf mich zukam, eine Spielzeit hier Ensemblemitglied zu werden und unter anderem den Papageno und Dr. Falke zu singen, fiel mir die Entscheidung nicht schwer.

Und was kommt danach?
Ab der kommenden Saison werde ich freischaffend sein. Eine Entscheidung, die ich in den letzten Wochen gefällt habe. Man hat in einem Festvertrag das Glück, „durchbezahlt“ zu werden, aber natürlich auch die Verpflichtung, immer auf Abruf zu sein. Das ist mit einer Karriere, die sicherlich zur Hälfte konzerttätig ist, sehr schwer zu vereinbaren. Im Sommer gebe ich meine Debüts beim Heidelberger Frühling und beim Lucerne Festival und kehre dann als Agrippa in John Adams’ neuester Oper „Antony and Cleopatra“ ans Gran Teatre del Liceu zurück – Adams selbst dirigiert. Daneben sind Hausdebüts an der Staatsoper Hamburg und dem MusikTheater an der Wien sowie einige schöne Liederabende und Konzerte geplant. Ich freue mich also auf diverse neue Herausforderungen.

Sie sprechen es an: Abseits der Opernhäuser trifft man Sie auch regelmäßig in den Konzertsälen an, wo Sie sich dem Lied widmen. Ihre zweite Leidenschaft?
Absolut! Wenn man so jung anfängt zu studieren wie ich, ist der ganze Körper ja noch im Wachstum. Und man selbst immer ein bisschen „in Warteschleife“, weil man nie weiß, wann sich die Stimme wirklich gesetzt hat und man endlich richtig loslegen kann. Viele Arien waren in dieser Zeit einfach noch nicht möglich, Lieder aber schon. Daraus hat sich dann eine langjährige Liebe entwickelt.

Die jetzt mit einem OPUS Klassik als „Nachwuchskünstler des Jahres“ für Ihre CD „Embrace“ – ein klug konzipiertes Programm mit Liedern von Fanny ­Hensel, Franz Liszt, Viktor Ullmann und Edvard Grieg – belohnt wurde. Waren Sie überrascht?
Mich haben zuvor ein paar befreundete Intendanten angerufen, die meinten: „Du bist in drei Kategorien nominiert, da gewinnt man immer eine.“ Ich wollte mir trotzdem nicht zu viele Hoffnungen machen. Man kennt den OPUS als die große, abendfüllende, opulente Sendung, bei der immer bekannte Gesichter ausgezeichnet werden. Als dann mein Label anrief und mir die Nachricht mitgeteilt hat, habe ich nur gefragt: „Was? Ich? Haben die meine CD auch wirklich gehört?“ (lacht)

Seine Liebe zum Liedgesang brachte Humm 2022 die Ehrung als „OPUS Klassik-Nachwuchskünstler des Jahres“ ein (Foto Markus Nass)

Gibt es gesangliche Vorbilder, an denen Sie sich orientieren?
Eines meiner größten Vorbilder ist Renée Fleming. Sie hat eine Karriere gemacht, wie sie im Buche steht: alle Genres, immer gepflegt, immer wunderbar gesungen. Oder auch Hermann Prey. Der hatte eine ganz andere Stimme als ich und ich will ihn überhaupt nicht kopieren. Aber ich finde es wahnsinnig beeindruckend, wie eine so schwere Stimme auch so liebevoll klingen kann.

Nun treffen wir uns hier gerade in St. Gallen, Ihrer aktuellen Wirkungsstätte. Und nicht einmal 200 km weiter wird Regula Mühlemann am Theater Basel im Januar ihre erste Gilda singen. Bleiben Schweizer Klassikstars denn gern daheim?
(lacht) Ich bin jemand, der es liebt, daheim zu sein. Das ist auch etwas, was ich an diesem Leben nicht mag: das ständige Unterwegs-Sein. Regula geht es da vielleicht ähnlich. Und das Publikum freut sich, weil sie Leute sehen, die sie kennen. Was vielleicht bei all den leidigen politischen Diskussionen um Subventionskürzungen für die Kultur auch einen positiven Identifikationseffekt haben kann.

Sind denn die Folgen der Pandemie kulturpolitisch auch hier schon spürbar?
Leider ja. Gerade bei kleinen Veranstaltern, aber auch bei den großen Häusern sinken die Etats und damit auch die Gagen für die Musikerinnen und Musiker. Als Beispiel: Die St.Galler Festspiele finden künftig nur noch alle zwei Jahre im Stiftsbezirk statt, dazwischen in kleinerer Form außerhalb der Stadt – warum auch immer. Meiner Meinung nach sollten wir gerade jetzt in Kultur investieren und sie dem Publikum durch günstigere ­Tickets zugänglicher machen …

Auf Ihren Social-Media-Kanälen haben Sie kürzlich auch die Vorurteile angeprangert, Sie seien „zu schwul“ und zu „groß“ für die Oper. Diese Aussagen haben mich überrascht, weil sich doch gerade die Theaterbranche sehr weltoffen gibt und nach außen immer für Toleranz eintritt. Haben Sie da andere Erfahrungen gemacht?
Man erlebt leider sehr viel – auch Kritik, die über das Fachliche hinausgeht … Es gab immer wieder Personen in Vorsingen, die wegen meiner sexuellen Ausrichtung zu mir gesagt haben: „Sie müssen lernen, wie ein Hetero-­Mann über die Bühne zu laufen.“ Oder: „Sie sind zu groß, Sie werden nie einen Papageno singen“ – nur weil ich eine Körpergröße von 1,96 m habe. Als ich mich in unserer Inszenierung von Joseph Bolognes „L’amant anonyme“ in Frauenkleidern auf der Bühne bewegen sollte, dachte ich nur: Zum Glück habe ich nicht auf diese Leute gehört. Als junger Mensch ist solche vorurteilsbehaftete Kritik nicht leicht wegzustecken – Gott sei Dank habe ich es geschafft, zu mir selbst zu stehen!

Sind das Einzelfälle oder würden Sie die Klassikszene als verkappt diskriminierend einstufen?
Ich glaube, in jeder Branche steckt das traurige Poten­zial zu Diskriminierung. Dazu gehören die Menschen, die darin arbeiten, bis zu denjenigen, die von außen dazustoßen. Die Oper ist in meinen Augen gerade wirklich in einem Wandel, wo Diskriminierung endlich immer mehr hinter uns gelassen wird. Aber es braucht Intendantinnen und Intendanten, die vehement gegen so etwas vorgehen und ein diverses Ensemble auf die Bühne und damit auch in die Gesellschaft stellen, sodass wir uns selbst in den Opern und Theatern wiedererkennen können.

Dieses Interview ist eine Leseprobe aus unserer Ausgabe Januar/Februar 2023

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Zum Tod von Franz Hummel

Musikalischer Nachruf auf einen, der in keine Schublade passen wollte

Musikalischer Nachruf auf einen, der in keine Schublade passen wollte

Generell bieten die Sinfoniekonzerte der Meininger Hofkapelle viel Zeitgenössisches. Dabei liegt der Schwerpunkt auf Werken, die hohen kompositorischen Standard mit Vorliebe für tonale und freitonale Strukturen vereinen. Zum Beispiel Kompositionen von Thomas Adès, Peter Ruzicka, Peter Leipold oder Detlev Glanert, dessen „Frenesia“ aus dem 2. Sinfoniekonzert „Leidenschaften“ zu Beginn dieser Spielzeit herausgenommen wurde. Denn am 20. August 2022 war der durch Opern wie „Gesualdo“ (Kaiserslautern 1996), „Der Richter und sein Henker“ (Erfurt 2008) oder „Zarathustra“ (Regensburg 2010) bekannte Komponist und Pianist Franz Hummel im Alter von 83 Jahren gestorben. Nun galt es, ihn mit einer Programmänderung zu würdigen.

Jens Neundorff von Enzberg, als Intendant 2021 vom Theater Regensburg an das Staatstheater Meiningen gekommen, schätzte in Hummel einen intelligenten und experimentierfreudigen Grenzgänger zwischen Stilen und Genres, dessen Musical „Ludwig II. – Sehnsucht nach dem Paradies“ er in Regensburg erstmals an ein Subventionstheater gebracht hatte. Auch den Kompositionsauftrag zum 2016 vom Philharmonischen Orchester Regensburg uraufgeführten Klavierkonzert Nr. 2 „Krieg und Frieden“ hatte Neundorff von Enzberg erteilt. Hummels Stiefsohn Yojo Christen spielte den Solopart nach Regensburg auch in Meiningen, die Witwe und künstlerische Nachlassverwalterin Susan Oswell besuchte das Konzert.

Hummels Opus, das im Titel mit der an den Beginn gesetzten Ouvertüre zu Sergej Prokofjews Tolstoj-Oper „Krieg und Frieden“ korrespondiert, stand zwischen zwei queeren Klangikonen des Konzertrepertoires: dem schon lange zum Kultstück gewordenen Adagio für Streicher op. 11 von Samuel Barber und Tschaikowskis sechster Sinfonie h-moll op. 74. Christen verbarg die beträchtlichen Schwierigkeiten von Hummels Partitur hinter spielerischer Leichtigkeit und artistischer Bravour. Den letzten Satz des halbstündigen Konzertstücks hatte Christen selbst komponiert und diesem so einen nur vermeintlich burlesken Abschluss gegeben, der Ernst mit Exaltation camoufliert. Hummels Einstieg in den Kopfsatz „Patriotischer Aufmarsch und Schlacht“ flirtet unverhohlen mit dem Beginn von Tschaikowskis b-Moll-Klavierkonzert, nimmt danach allerdings ganz andere Wendungen. Die Streicher eilen mit Fluten und Böen durch die fülligen und scherzo-artigen Attacken. Der Piano-Part durchmisst alle Affekte fast ohne Innehalten und wendet sich mit fintenreicher Hymnik an die Hörer. Die Meininger Hofkapelle unter GMD Philippe Bach nahm die gestenreiche wie dramatisch sprunghafte Partitur als leichtfertige Leistungsschau und lässig bewältigten Präzisionsnachweis. Das hätte auch Franz Hummel gefallen.

Roland H. Dippel

Ein ausführliches Porträt zu Franz Hummel erscheint in unserer Ausgabe Januar/Februar 2023.

No Business Like Show Business

Der Musical-Studiengang der Theaterakademie August Everding feiert sein 25-jähriges Jubiläum

Der Musical-Studiengang der Theaterakademie August Everding feiert sein 25-jähriges Jubiläum

von Tobias Hell

Ein Ort der Begegnung und des künstlerischen Austauschs: Das war es, was August Everding bei der Gründung der mittlerweile nach ihm benannten Theaterakademie vorschwebte. Keine Ausbildung in der eigenen Blase, sondern ein praxisnahes Arbeiten von insgesamt acht Studiengängen, vereint unter dem Dach des Münchner Prinzregententheaters. Fester Bestandteil ist seit mittlerweile 25 Jahren auch das Genre ­Musical, das trotz der Prägung durch Schauspiel-Legende Fritz ­Kortner oder Everdings Regiearbeiten an der New ­Yorker Met und bei den Bayreuther Festspielen stets zu dessen heimlichen Leidenschaften zählte.

Ein Erbe, das die frisch von Berlin nach München gewechselte, neue Präsidentin der Theaterakademie Prof. Dr. Barbara Gronau weiter pflegen will: „Ich bin ein großer Fan des Musicals, weil es eine Theaterform ist, die zu großen Emotionen verführen kann.“ Auf gängige Klischees lässt sich das Genre Musical längst nicht mehr reduzieren. Denn auch das Schauspiel hat die Musik als Gestaltungsmittel entdeckt, was die Grenzen zwischen den Gattungen immer durchlässiger werden lässt. „Unsere Studierenden sind eine neue Generation mit eigener Prägung und eigenen Ideen, die wir dazu ermutigen wollen, das Theater der Zukunft aktiv mitzugestalten.“ Das setzt natürlich eine solide Basis voraus, ebenso wie den Dialog mit denen, die bereits im Beruf stehen. „Was mir hier in München besonders auffällt ist, dass die Theaterakademie eine unglaublich starke Alumni-Arbeit quer durch alle Studiengänge leistet. Dadurch ist ein Netzwerk entstanden, das nicht zu unterschätzen ist. Vor allem im Musical, das meist kein fester Bestandteil der Staats- und Stadttheater ist.“

Prof. Dr. Barbara Gronau und Marianne Larsen
Prof. Dr. Barbara Gronau (links) und Marianne Larsen wollen die Studierenden mit einer praxis­nahen Ausbildung fit fürs Berufsleben machen (Fotos Marie-Laure Briane, Christian Hartmann)

Trotzdem oder gerade deswegen fällt auch die Bilanz von Musical-Studiengangsleiterin Marianne Larsen durchaus positiv aus. Die aus Dänemark stammende Sängerin, die in ihrer Karriere stets souverän zwischen Oper, Operette und Musical pendelte und den Theaterbetrieb von beiden Seiten kennt, war seit Gründung des Studiengangs als Dozentin aktiv und übernahm schließlich 2012 in Nachfolge von Georg Malvius und Vicki Hall die Leitung. „Ich besuche beruflich viele Premieren in ganz Deutschland und treffe dort fast immer bekannte Gesichter. Ich bin sehr froh zu sehen, dass viele unserer Leute noch immer gut im Geschäft sind. Oder teilweise auch ‚schon‘ im Geschäft – gerade die beiden letzten Jahrgänge, die durch Corona schwer geschädigt wurden. Aber selbst da sind viele inzwischen bis weit ins nächste Jahr hinein ausgebucht. Das beruhigt sehr.“

Von neuem Mut und Privilegien

Grund dafür mag sein, dass auch an so manchen Staats- und Stadttheatern inzwischen ein Umdenken stattgefunden hat. Denn wo früher eher Klassiker wie „My Fair Lady“ oder „Cabaret“ auf dem Spielplan standen, die sich zur Not auch achtbar mit Opernsängerinnen und Schauspielern besetzen lassen, sind viele Theater mittlerweile bei der Stückauswahl etwas mutiger geworden.

Was aber noch wichtiger ist: Die Theater holen dafür endlich auch Musical-Profis. Und dies nicht nur als Gäste, sondern zuweilen sogar als Allzweckwaffen im Ensemble. Von ihren ehemaligen Schützlingen nennt Marianne Larsen unter anderem Patrizia Unger, die am Salzburger Landestheater neben Musical-Rollen auch im Schauspiel überzeugte, oder die frisch ans Theater Regensburg verpflichtete Fabiana Locke.

Armin Kahl
Armin Kahl (Foto Alexander Moitzi)

Das gleiche gilt für Armin Kahl, der 2004 seinen Abschluss machte und nach zahlreichen Long-Runs in Wien, Hamburg oder Stuttgart aktuell zum Ensemble des Staatstheaters am Gärtnerplatz zählt und damit in seine alte Münchner Wahlheimat zurückkehrte. Wenn Kahl sich an seine Studienzeit erinnert, kommt auch bei ihm schnell die Rede auf die von Marianne Larsen als Wendepunkt bezeichnete „On the Town“-Inszenierung von Regisseur Gil Mehmert. „Das war schon eine Hausnummer. Es war eine der ersten großen Produktionen, bei der mein Jahrgang damals mit auf die große Bühne durfte. Und das fand ich immer mega an der Theaterakademie, dass man hier ein Haus wie das Prinzregententheater hat und dazu noch das kleinere Akademietheater. Da gab es unglaublich viele Spielmöglichkeiten, um sich auszuprobieren.“ Ergänzt durch regelmäßige Kooperationen mit Häusern wie den Theatern von Nürnberg, Fürth, Augsburg, Bamberg oder Erfurt, an denen sich Kahl und die anderen Studierenden im professionellen Umfeld beweisen mussten. „Es ist ein Privileg, wie berufsnah man hier arbeiten kann und darf. Das hat mir auch geholfen, als ich unmittelbar nach dem Studium ein Engagement als Sky bei ‚Mamma Mia!‘ in Stuttgart bekam. Da hat mich das riesige Haus nicht ganz so erschlagen wie manch andere, die auch frisch von der Schule kamen. Weil ich eben das ‚Prinze‘ gewohnt war.“

Frischer Wind und viele Ziele

Nach fast zwei Jahrzehnten im Beruf merkt auch Armin Kahl, dass sich viel in der hiesigen Musical-Szene getan hat. Waren es auf Seite der Lehrenden früher meist Quereinsteiger aus Oper, Ballett und Schauspiel oder Profis aus England und den USA, ist mittlerweile eine Generation deutscher Darstellerinnen und Darsteller herangewachsen, die genau wie er eigene Erfahrungen in Workshops an den Nachwuchs weitergeben. „Unsere Ausbildung an der Theaterakademie war sehr breit gefächert. Und darauf kann man mit Recht stolz sein, weil einem leider oft immer noch die alten Vorurteile begegnen, dass man als Musicaldarsteller zwar alles ein bisschen, aber nichts richtig kann. Gerade wenn man mit Opernleuten arbeitet. Aber wenn die Proben dann erst einmal laufen, kommt meistens doch schnell ein wertschätzendes ‚Cool, was ihr da macht‘. Man muss einfach auf beiden Seiten offen sein und anderen mit Respekt begegnen.“

Musical ist ein breit gefächertes Genre. Mal steht der Tanz im Vordergrund, mal muss eine Geschichte ganz ohne Dialoge einfach nur durch Songs erzählt werden. Und wo das eine Stück stimmlich einen klassischen Background verlangt, haben andere ihre Wurzeln im Punkrock oder im deutschen Schlager. Will man sich da behaupten, ist in der Ausbildung vor allem Vielseitigkeit gefragt. Aber auch die Förderung individueller Stärken, wie Marianne Larsen bekräftigt. „Natürlich ist es bei der Aufnahmeprüfung wichtig, dass man ein gewisses Potenzial erkennt. Aber manchmal merkt man danach eben erst im Laufe des Studiums, wohin die Reise geht und welche anderen Talente womöglich noch in einem Menschen stecken.“

Und so findet sich unter den Musical-Alumni der Theaterakademie neben TV-Kommissar Tom Beck, Chansonnier Valdimir Korneev oder Schlager-Sängerin Ella Endlich auch Miriam Clark, die nach ihren Musical-Anfängen inzwischen bei Bellinis „Norma“ angekommen ist und international mit Partien von Giuseppe Verdi oder Richard Strauss reüssiert. Natürlich aber vor allem zahlreiche Namen, die heute aus der deutschen Musical-Szene nicht mehr wegzudenken sind. Größen wie Roberta Valentini, Milica Jovanović, Patrick Stanke oder eben Armin Kahl.

on the town
„On the Town“ war 2002 eine Bewährungs­probe für den Münchner Musical-Nachwuchs und wurde schließlich zum umjubelten Highlight der Ära von Vicki Hall (Foto Lioba Schöneck)

Vom Geheimtipp zum Coup

Auch die Produktionen des Studiengangs sind längst mehr als ein Geheimtipp in der Szene. Nicht zuletzt, weil Marianne Larsen immer wieder auf Stücke abseits des Standardrepertoires setzt, stets zugeschnitten auf die Stärken des jeweiligen Jahrgangs. Und das Können ihrer Studierenden scheint auch bei den Verlagen angekommen zu sein. Sie vertrauten der Theaterakademie unter anderem die deutschen Erstaufführungen von Rodgers & Hammersteins „­Cinderella“ oder Andrew Lippas „Big Fish“ an, wobei letztere Produktion im Anschluss an die Münchner Premiere noch am Musiktheater im ­Revier Gelsenkirchen mit ähnlichem Erfolg gezeigt wurde.

Für die Jubiläumssaison ist Larsen mit der kontinentaleuropäischen Premiere von Shaina Taubs gefeierter Shakespeare-Vertonung „Twelfth Night“ nun erneut ein echter Coup gelungen. „Ich freue mich sehr, dass wir damit ein Musical einer spannenden jungen Komponistin zeigen können. Vor allem, weil das Stück nicht nur gute Musik hat, sondern mit dem Geschlechtertausch auf der Bühne gleichzeitig auch die aktuelle Diskussion um Gender und Diversity aufgreift.“ Womit wieder einmal bewiesen wäre, dass sich Unterhaltung und Tiefgang im Musical keineswegs ausschließen und auch in diesem Genre die Grenzen immer wieder neu ausgelotet werden.

Dieser Artikel ist eine Leseprobe aus unserer Ausgabe November/Dezember 2022

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Frustrationspotenzial? Null!

Die neue Präsidentin der Salzburger Festspiele Dr. Kristina Hammer startet ihre Aufgabe in turbulenten Zeiten. Sie darf nicht nur, sie muss einige Dinge neu denken

Die neue Präsidentin der Salzburger Festspiele Dr. Kristina Hammer startet ihre Aufgabe in turbulenten Zeiten. Sie darf nicht nur, sie muss einige Dinge neu denken

Interview Iris Steiner

Bereits zu ihrem Amtsantritt im ­Januar waren die Zeiten für Kulturbetriebe nicht rosig, wenige Wochen später wurde die Situation noch schlimmer – der Ukraine­krieg brach über Europa herein. Nicht genug, dass man während der beiden Pandemie-­Saisonen den Fortbestand der Festspiele nur mit riesigem Zusatzaufwand sichern konnte, von heute auf morgen stand nun sogar das gesamte Geschäftsmodell am Pranger. Hauptanklagepunkt: „Toxisches Sponsoring“. Mit dem gesellschaftspolitischen Diskurs zu Gazprom & Co. und der neuen Sensibilität im Zuge einer wankenden Weltordnung änderten sich quasi über Nacht die ethischen Voraussetzungen für Privatfinanzierung von Hochkultur.

Dr. Kristina Hammer sei die Richtige, um „die Salzburger ­Festspiele in ein neues Zeitalter [zu] führen“, meinte Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer zur Nominierung der 53-jährigen Wirtschaftsjuristin – und hätte im September vergangenen Jahres wohl nicht gedacht, wie sehr sie damit den berühmten „­Nagel auf den Kopf“ getroffen hatte. Auch der Salzburger Landeshauptmann Dr. Wilfried Haslauer bewies in seiner Laudatio hellseherische Fähigkeiten, sein lobender Ansporn für die neue Präsidentin, „neue Herausforderungen für die Salzburger Festspiele als weltbestes, klassisches Dreisparten-Festival zu meistern“, geriet unfreiwillig zur Stellenbeschreibung.

Wir wollten wissen, wer eigentlich „die Neue“ in Salzburg ist, deren Ernennung als überraschend galt. Eine Frau, Typ weibliche Top-Managerin, noch dazu Nicht-Österreicherin und aus der Wirtschaft – kann das gutgehen im altehrwürdigen Salzburger Festspiel-Klüngel? Lesen Sie selbst.

Eröffnung der Salzburger Festspiele 2022
Festakt zur Eröffnung der Salzburger Festspiele 2022 (Foto Land Salzburg / Neumayr – Leopold)

Wie bewegen Sie sich als weibliche Führungskraft unter Männern?
Mit Authentizität. Ich bin eine Verfechterin von klarer Kommunikation und der Herangehensweise „Steter Tropfen höhlt den Stein“, nicht des schnellen Gewinnen-Wollens um jeden Preis. Wenn man, wie ich, einen nicht unerheblichen Teil des beruflichen Lebens in männerdominierten Unternehmen verbracht hat – ich komme aus der Automobilindustrie – lernt man sehr schnell, dass Kooperation nur auf Augenhöhe funktioniert.

Was unterscheidet weibliches Leadership von männlichem?
Frauen sind oft von Natur aus kommunikativer. Wir haben den Vorteil, dass uns Dinge mit Erklärungsbedarf „liegen“. Außerdem sind wir oftmals konsensgetrieben, was ich eher für einen Vorteil als für einen Nachteil halte. In der heutigen Arbeitsmarkt-Situation kommt noch ein dritter wichtiger Vorteil dazu, den viele Frauen in Führungspositionen positiv ausspielen: Empathie. Und zu guter Letzt reden wir auch noch über etwas, das uns die Männerwelt gerne abspricht: Durchsetzungskraft und Durchsetzungswille. Wir wären nicht dort, wo wir sind, wenn wir das nicht hätten.

Könnten Sie uns das vielleicht an einem Beispiel verdeutlichen?
Ich kann mich an eine Situation erinnern, wo es um den Fortbestand eines internationalen Sponsorings ging. Anscheinend hatte man im lokalen Markt in der Kürze der Zeit nicht genug Geld verdient und deshalb den obersten Boss eines Dienstleisters zu mir geschickt, um den Vertrag aufzukündigen. Ich wollte ihm zunächst erklären, dass die Kooperation auf einer internationalen Grundlage und damit auf der Basis vieler wichtiger Standorte funktioniert, und man sich mit denen zunächst abstimmen sollte – das hat mein Gegenüber aber nicht interessiert. Ich hatte dann spontan die Idee, umgehend den USA-Landes­chef anzurufen, um im Falle einer einseitigen lokalen Kündigung die dortige Sponsoringvereinbarung unsererseits abzusagen. Mein Verhandlungspartner hat ein paar Minuten überlegt und dann eingelenkt.

Sie hatten also im richtigen Moment die richtige Idee und den Mut zu kontern?
Genau darum geht’s: Um Weitsicht, die richtige Idee zur richtigen Zeit, Entscheidungsfreude und darum, sich generell nicht erpressen zu lassen. Auch wenn man vermeintlich die/der Schwächere ist.

Hatten Sie schon einmal das Gefühl, dass es für Sie als Frau schwieriger ist, sich durchzusetzen?
Natürlich war es an manchen Stellen schwieriger, weil ich eine Frau war – besonders in einer männerdominierten Umgebung. Aber es gab auch Fälle, wo es einfacher war. Was glauben Sie, wie schnell man sich ihren Namen merkt, wenn Sie die einzige Frau sind?

Birgt diese Erfahrung nicht auch ein gewisses Frustrationspotenzial?
Ich selbst gehöre zu der Spezies Mensch, der das Gen für Frustration fehlt, dafür bin ich viel zu interessiert, auch an anderen Perspektiven. Ich denke aber schon, dass es manchen leichter fällt, einer Frau mit Vorurteilen zu begegnen als einem Mann – übrigens auch Frauen.

Es gibt Frauen, die behaupten, dass sie gerade mit Frauen nicht gerne zusammenarbeiten. Wie stehen Sie dazu?
Das Geschlecht ist für mich nicht entscheidend, es sind eher bestimmte Typen, mit denen es schwieriger ist zusammenzuarbeiten – Männer und Frauen.

Durften Sie schon einmal die Erfahrung mit dem Phänomen „Zickenterror“ machen? Zumindest nennen Männer das gerne so …
Das mag es sicher im Einzelfall geben, ich würde das aber nicht pauschalisieren. Meine Erfahrung ist eine andere, ich hatte in der Zusammenarbeit mit Frauen nie ein derartiges Problem. Im Gegenteil: Ich durfte lernen, dass besonders alleinerziehende Mütter tolle Kolleginnen und Mitarbeiterinnen sind – weil sie in der Regel herausragend organisieren können. Diese seltsamen Schubladen finde ich nicht zielführend.

In der Pause von Rossinis „Il barbiere di Siviglia“, August 2022. Regie führte Rolando Villazón, es sang u.a. Cecilia Bartoli. V.l.n.r.: Joachim Sauer, Angela Merkel, Kristina Hammer, ­Hermann Reichenspurner, John Neumeier (Foto Salzburger Festspiele/Franz Neumayr)

Sie haben mit dem Amt der Präsidentin der ­Salzburger Festspiele Ihren Tätigkeitsschwerpunkt von der Wirtschaft in die Kultur verlegt. War das eine bewusste Entscheidung?
Ich möchte meine Wirtschaftsexpertise in den kulturellen Bereich einbringen. Durch meine Tätigkeit in internationalen Unternehmen, später als Unternehmerin und Führungskräfte-Coach, habe ich erfahren, was „Leadership“ heißt und dieses vielstrapazierte Wort „Change­management“. Es geht um positive Veränderung, um notwendige Weiterentwicklung in volatilen Zeiten. Durch meine Arbeit im Vorstand der Freunde der Oper Zürich bekam ich insbesondere in der Pandemiezeit eine große Nähe zu diesem Kulturbetrieb – gerade, weil es oft um elementare Fragen ging. Ich stellte fest, dass ich mit meinem Wissen etwas Neues einbringen und bewegen kann. Das ist, was mich fasziniert. Hier bei den ­Salzburger ­Festspielen gibt es viel künstlerisches und technisches Wissen und Erfahrung, in einer Tiefe und Breite, wie man es schöner nicht finden kann. Dafür brauchen die mich nicht. Ich bin da, um etwas hinzuzufügen.

Haben Sie Ihre „Einstiegs-Schnittstelle“ schon gefunden? Die Salzburger Festspiele sind – bildlich gesprochen – doch ein sehr großer Tanker, der dementsprechend schwer beweglich ist. Wie dockt man als „Neue“ mit neuen Ideen hier am besten an?
Da muss ich Ihnen widersprechen, es sieht von außen möglicherweise aus wie ein Tanker, ist aber innen ein Schnellboot. Wenn man den Ablauf einer kompletten Saison verfolgt, weiß man, dass hier unglaublich schnell, wendig und pragmatisch agiert wird. Das ist Projekt­management auf höchstem Niveau.

Haben Sie sich für eine Bewerbung entschieden, weil Sie Ihre Wirtschaftskompetenz bei den Salzburger Festspielen einbringen und gleichzeitig Ihr „Hobby“ mit Managementkompetenz zusammenzuführen möchten?
Meine Aufgabe hier ist sehr vielfältig – daher ist auch die Antwort auf Ihre Frage mehrschichtig. Ein Schwerpunkt ist aber schon, dass mich die Themen Sponsoring, Marketing und Kommunikation bereits mein gesamtes Berufsleben begleiten – als leitende Mitarbeiterin in global agierenden Konzernen, ebenso wie als Unternehmerin oder Gastdozentin an der Universität St. Gallen. Genau wie meine Leidenschaft für Oper, Theater und Konzert. Man muss in diesen Bereichen immer wieder neue Wege denken.

Was ist Kultursponsoring heute im Vergleich zu vor zwanzig Jahren?
Früher war es oft geprägt von patriarchalischen Strukturen in Firmen, wo sich der Unternehmer oft aus persönlichem Interesse für ein bestimmtes Kulturprojekt entschieden hat. Mittlerweile hat sich das Ganze mehr in Richtung gesellschaftspolitisches Engagement weiterentwickelt. Man erkennt, welche Bedeutung Kultur lokal und in unserem Falle auch international hat. Sponsoring bedeutet heute, partnerschaftlich etwas zu entwickeln, das dem Unternehmen und dem Kulturbetrieb gleichermaßen nützt.

Wie weit sehen Sie heute diese Wahrnehmung des „gegenseitigen Nutzens“ bereits in den Köpfen verankert?
Für uns ist das ein sehr wichtiger Faktor, den ich gerne am Beispiel zweier unserer Hauptsponsoren aufzeigen möchte: Über 1 Million Menschen konnten in den letzten Jahren dank Siemens im größten Public Screening der Klassikwelt „Open-Air“ Konzerte, Opern und den „Jedermann“ kostenfrei in Salzburg auf dem Kapitelplatz genießen. Das ist ein gesellschaftspolitisches Engagement, das über reines Sponsoring hinausgeht. Und ein weiteres Beispiel: Durch unseren Sponsor BWT-Best Water Technology sind wir heute ein plastikflaschenfreies Festival.

Verfolgen Sie auch den anderen Blick auf die Dinge – dass ein Kulturveranstalter den Sponsor mit etwas von dem bereichert, was das Wesen und der positive Effekt von Kultur ist?
Ja, beispielsweise mittels Führungskräftefortbildung: Hier beschäftigen wir uns mit dem Thema Effektivität und Teamwork. Nehmen wir als Beispiel einen Dirigenten, der bei uns in kürzester Zeit mit unterschiedlichsten Musikern verschiedenster Nationalitäten ein Werk erarbeitet. Genau das wird heute in internationalen Firmen gefordert – ein wertvolles Know-how, das wir auch gerne an unsere Partner weitergeben.

Sind Sichtweisen wie diese vielleicht der Grund, weshalb genau Sie für dieses Amt der Präsidentin ausgewählt wurden?
Die ausschlaggebenden Faktoren, die letztendlich zu meiner Wahl geführt haben, kenne ich natürlich nicht. (lacht) Aber die Kriterien gingen schon in Richtung Internationalität, Führungskompetenz und unternehmerischen Gestaltungswillen. Die Präsidentin muss mit den unterschiedlichsten Menschen und Stakeholdern kommunizieren können, daher ist Kommunikationsstärke gefragt – vor allem solche, die mit sozialer, integrativer und vermittelnder Kompetenz einhergeht.

Wie möchten Sie persönlich das Amt der Präsidentin ausüben?
Ich sehe mich – und das ist mir wichtig – als „Ermöglicherin“ hier im Festspielbetrieb und als diejenige, die das Beste aus den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern herausholt. Darüber hinaus gibt es ganz klare ­Aufgaben im Bereich Marketing, Presse, Vertrieb und Sponsoring sowie die Vertretung der Festspiele nach außen. Die vornehmste Aufgabe der Präsidentin ist für mich aber ihre Funktion als „verbindendes und inspirierendes Element“, um einen so vielschichtigen Betrieb wie den unseren zusammenzuhalten und integrativ in die Zukunft zu führen. Dieses Ziel verbindet uns dann auch wieder mit einem Wirtschaftsunternehmen.

Wie möchten Sie zukünftig die „richtigen“ Sponsoren für die Salzburger Festspiele gewinnen? In der heutigen Zeit ja bekanntlich kein einfaches Unterfangen …
Wir sind uns bewusst, dass es diesbezüglich einen gesellschaftspolitischen Dialog gibt. Was man aber keinesfalls vergessen darf: Die Salzburger Festspiele sind zu 75% eigenwirtschaftlich finanziert. Wir brauchen Sponsoring – und als internationales Festival brauchen wir auch internationale Unternehmen, die mit uns zusammenarbeiten. Wir sind dabei auch offen gegenüber den aktuellen Entwicklungen wie bspw. einem Code of Conduct. Als Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer einen runden Tisch dazu ins Leben gerufen hat, waren wir von Anfang an mit dabei. Es darf nur nicht um eine generelle Ablehnung von multinationalen Konzernen gehen, sondern um nachvollziehbare Grundsätze und Leitplanken ohne Attraktivitätsverlust gegenüber der privaten Wirtschaft, die sich mit uns als Kulturinstitution proaktiv beschäftigen möchte. Das meine ich jetzt übrigens sowohl auf künstlerischer Ebene als auch als Partner mit interessanten Angeboten für Unternehmen.

Die Abkehr von einer „Bittsteller-Mentalität“ der Kultur hin zu unternehmerischer Partnerschaft im Wirtschaftskreislauf also? Ihr Spezialgebiet?
Es geht um eine ernsthafte Auseinandersetzung darüber, was gute Partnerschaft zwischen Kultur- und Wirtschaftsbetrieben im 21. Jahrhundert ausmacht. Und ja, es schadet nicht, wenn man dazu auch die Interessens- und Erwartungshaltung eines Unternehmens einschätzen kann.

Young Singers Project 2022
Empfang anlässlich der Präsentation des Young Singers Project 2022 mit Serafina Starke, Alma Neuhaus und Flore Van Meerssche (von links) (Foto Salzburger Festspiele/Erika Mayer)

Haben Sie eigentlich ein persönliches inhaltliches „Steckenpferd“ bei den Festspielen?
Ganz vorne mit dabei ist das Thema Jugend. Es geht uns hier jedoch nicht um eine grundsätzliche Veränderung unserer Zuschauerbasis, sondern um deren Verbreiterung – und um eine kluge, vielschichtige Attraktivierung des Programms für junge Menschen. Nicht nur wir stellen leider fest, dass die Unterstützung von Familie und Schule im Hinblick auf Opern- und Konzertbesuche von Kindesbeinen an rückläufig ist. Hier sehe ich in der Zukunft mehr und mehr uns Veranstalter gefragt. Die ­Salzburger Festspiele haben zum 100-jährigen Jubiläum die neue Sparte „jung&jede*r“ gestartet. Wir möchten Kinder und Jugendliche für Sprech- und Musiktheater begeistern und Schwellenangst abbauen – mittlerweile tun wir das auch außerhalb der Festspielhäuser in Schulen und Kulturstätten in der Stadt und im ganzen Land Salzburg. Auch bieten wir einwöchige Operncamps an, wo Kinder und Jugendliche mit Mitgliedern der Wiener Philharmoniker im Orchester zusammenspielen, um dann am Ende der Woche ihre Interpretation unserer Stücke darzubieten. Unsere jährliche Kinderoper wird von den Nachwuchssängern des „Young Singers Project“ präsentiert: Aus hunderten von Bewerbern wählten wir dieses Jahr wieder 17 junge Sängerinnen und Sänger aus, die über den Sommer unter anderem an Meisterklassen teilnehmen. Und heuer haben wir zum ersten Mal Patenschaften ins Leben gerufen. Langjährige Festspielbesucher werden mit einem jungen Erwachsenen „gematcht“, der noch nie zuvor bei den Festspielen war, und beide besuchen gemeinsam eine Vorstellung. Die Paten geben ihre langjährige Begeisterung und ihre schönsten Festspiel­erfahrungen weiter und nach eigenem Erleben kann ich sagen, dass da wirklich der Funke übergesprungen ist. Darüber hinaus vergeben wir 6.000 Jugendkarten mit bis zu 90% Rabatt, was in der breiten Öffentlichkeit leider noch nicht allgemein bekannt ist. Uns ist es wichtig, nicht exklusiv und elitär, sondern integrativ zu sein. Die Salzburger Festspiele sind nicht nur große Oper und „Jedermann“ – wir bestanden in diesem Jahr aus 174 kleinen und größeren Aufführungen in drei Sparten und 54 Veranstaltungen im Jugendprogramm. Ich werde nicht müde, das zu wiederholen.

Was macht Salzburg denn eigentlich so besonders ­geeignet für ein solches Festival?
Als unsere visionären Gründerväter Hugo von Hofmannsthal, Max Reinhardt und Richard Strauss am Ende des Ersten Weltkrieges die Salzburger Festspiele in einer entsetzlichen, fast hoffnungslosen Situation ins Leben gerufen haben, war der Grundgedanke, etwas Friedensstiftendes und Völkerverbindendes zu schaffen – mit dem Anspruch, „das Beste aus Oper, Konzert und Theater“ zu zeigen, wie Hofmannsthal es ausdrückte. Das verfolgen wir als Leitgedanken auch heute noch, jedes Jahr. Salzburg ist eine unglaublich schöne Stadt im Herzen Europas mit 18 Festspiel-Spielstätten. „Die ganze Stadt ist Bühne“ war die Vision von Max Reinhardt. Auch das gilt heute unverändert.

Leben Sie eigentlich auch privat in Salzburg?
Ich bin Anfang Januar zunächst mit zwei Koffern hierhergezogen und lebe jetzt ganzjährig hier. Wenn man in einem solchen Kulturbetrieb und in der Stadt wirklich verankert sein möchte, kann man nicht unregelmäßig von irgendwoher „einfliegen“.

Und natürlich darf auch die typische deutsche „Neidfrage“ – gerade an Sie – nicht fehlen. Gehen Österreicher mit Kunst und Kultur denn wirklich besser um als wir Deutsche?
Als Deutsche und Schweizerin, die mit einem Österreicher verheiratet ist, kann ich diese Frage wirklich ganz gut beantworten. (lacht) Ja, ich glaube, die Kultur hat in Österreich wirklich einen anderen Stellenwert – kulturelle Ereignisse werden viel mehr in der breiten Öffentlichkeit wahrgenommen als beispielsweise in Deutschland. Das ist mir oft aufgefallen. Kultur hat einen höheren Wert hier – das ist schön und besonders. Eine große Motivation für unsere Arbeit im Übrigen.

Dieses Interview ist eine Leseprobe aus unserer Ausgabe November/Dezember 2022

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Die singende Nation

Joseph Calleja feiert sein Land und sein 25-jähriges Bühnenjubiläum mit einem Open-Air-Spektakel auf Malta

Joseph Calleja feiert sein Land und sein 25-jähriges Bühnenjubiläum mit einem Open-Air-Spektakel auf Malta

von Iris Steiner

Eine „Opernreise“ nach Malta? Die ehemalige Oper, das „Teatru Rjal“, wurde im Zweiten Weltkrieg weitgehend zerstört und ist heute nur als Freilichtbühne in Betrieb, Maltas Nationaltheater, das „Teatru Manoel“, ist zwar eines der ältesten Häuser Europas, hat aber aktuell keinesfalls einen opernaffinen Spielplan. Skurrilerweise besitzt die winzige Nachbarinsel Gozo dafür gleich zwei Opern – im Abstand von 300 Metern und für nicht einmal 30.000 Einwohner. Die Malteser lieben das Singen, es gibt eine lebendige Gesangstradition quer durch alle Altersgruppen und auch Maltas Tenor-Star hat einen Kinderchor ins Leben gerufen, der selbstverständlich bei seinem Jubiläumskonzert zum Einsatz kam. Über allem schwebt der Wunsch, EINMAL den Eurovision Song Contest zu gewinnen …

So gesehen ist es nicht verwunderlich, dass in einem der beiden Opernhäuser auf Gozo, dem „Teatru ­Astra“, 1997 ein damals 19-jähriger Tenor namens Joseph ­Calleja sein Debüt als Macduff in Verdis „Macbeth“ gab, im selben Jahr den Belvedere-Hans-Gabor-Wettbewerb gewann, 1998 den Caruso-Wettbewerb in Mailand und ein Jahr später den CulturArte-Preis bei ­Domingos Operalia-­Wettbewerb. Spätestens jetzt wurde der Schüler des bis dahin berühmtesten heimischen Opernsängers, Paul Asciak, zu dessen Nachfolger im internationalen Operngeschäft, zum Aushängeschild seines gesangsbegeisterten Landes und 2012 sogar zum ersten von der Regierung ernannten Kulturbotschafter Maltas. Erst vor wenigen Jahren konnte man den bereits berühmten Calleja überraschenderweise noch einmal in seiner kleinen Debütrolle des Macduff erleben – an der Bayerischen Staatsoper, die auch gerne einmal Weltstars in Nebenrollen verpflichtet. „Sie haben mich gefragt“, lautet die pragmatische Antwort auf die Frage, weshalb er sich denn für so eine kleine Rolle zur Verfügung stelle. Gab es nicht auch einen nostalgischen Hintergrund? „Es war meine erste Rolle, natürlich ist die mit aufregenden Erinnerungen verbunden. Und ich halte es mit ­Pavarotti: So gut ein Macbeth auch singen mag, der Macduff hat die eine Arie im Stück, an die man sich erinnert …“

Links: St. John’s Cathedral | Rechts: Mit traditionellem Fischerboot geht’s ans andere Ufer nach Valetta (Fotos Iris Steiner)
Links: St. John’s Cathedral | Rechts: Mit traditionellem Fischerboot geht’s ans andere Ufer nach Valetta (Fotos Iris Steiner)

Widerstandsfähigkeit als hoher Wert

Am 26. Juli feierte Joseph Calleja sein 25-jähriges Bühnenjubiläum mit einem großen Open-Air-Konzert. Eine Heimkehr nach Malta oder immer wieder ein „Aufbruch in die Welt“ von hier aus? Beides, meint er verschmitzt: „Ich bin Malteser – unabhängig vom jeweiligen Aufenthaltsort.“ An seiner Seite heute wie damals: Plácido ­Domingo, der künstlerische Übervater, mit dem ihn eine ganz besondere Freundschaft verbindet. Domingo war es, der ihn entdeckte und förderte, durch Domingos Unterstützung wurde Calleja wie viele andere Sängerinnen und Sänger vor und nach ihm weltbekannt. „Plácido ist als Sänger eine Ausnahme-Erscheinung und als Förderer junger Talente einzigartig“, meint Calleja und man spürt nach wie vor die starke emotionale Verbundenheit. „Was kann man über die größte lebende Legende der Oper noch sagen, was nicht schon gesagt wurde? Er ist ein Vorbild in Geduld und Disziplin, jemand, der einem beibringt, wie man nach Niederlagen wieder aufsteht und wie man mit Rückschlägen umgeht, die früher oder später jeden von uns treffen.“

Widerstandsfähigkeit: Ein Begriff, den er auffällig oft verwendet in diesem Gespräch und der die Bindung zwischen Calleja und seiner Insel wohl am besten in Worte fasst. Dieser Schmelztiegel aus arabischer und westlicher Kultur, geprägt von seiner geografischen Lage zwischen Sizilien und Tunesien, brauchte im Laufe der Jahrhunderte viel Widerstandsfähigkeit, um zu überleben. Die megalithischen Tempel Maltas gehören zu den ältesten Zeitdokumenten der Menschheitsgeschichte. Römer, Johanniter-Ritter, Araber, Briten: Alle haben die kleine Insel erobert und zum Bollwerk eigener Interessen gemacht. „Wir sind geprägt von dieser speziellen Energie“, sagt Calleja, „solche Einflüsse fördern geistige und seelische Gesundheit und die Stärke eines Menschen“. Durch eine Corona-Erkrankung mit Long-Covid-Symptomen war er vor Kurzem zwei Monate zwangsbeurlaubt – und fühlt sich nach eigenen Angaben immer noch nicht hundertprozentig fit. „Manchmal sind im Terminkalender vier Tage Regeneration eingeplant. Ich brauche aber neuerdings eineinhalb Wochen, um wirklich wieder meine beste Form abrufen zu können.“

Ob er überrascht war, wie schlecht man den Kulturbetrieb während der Corona-Krise behandelte? „Weil die Politik das so wollte“, meint er und wirkt dabei eher gleichgültig als wütend. „Überall, nicht nur in Malta, gab es unsinnige Regeln. Zu einem Fußballspiel durfte man gehen, in die Oper nicht. Wir alle haben gelernt: Kultur ist Luxus.“ Calleja zuckt mit den Schultern, der Interviewraum im Keller des Fort Manoel wird unüberhörbar von den gewaltigen Orchesterklängen der laufenden Generalprobe geflutet. Er macht eine kurze Denkpause und fügt nicht ganz ohne Sarkasmus hinzu: „Medizinische Versorgung oder Lebensmittel sind unbedingt nötig und sicher brauchte man während dieser Pandemie auch irgendwann genug Wein, um die Probleme zu vergessen. Aber Kultur?“

Mediterran-fröhliche Jubiläumsfeier und ernsthafte Studien für Bayreuth

Joseph Calleja und Chefredakteurin Iris Steiner: Manchmal passt ein Selfie eben am besten! (Foto Iris Steiner)
Joseph Calleja und Chefredakteurin Iris Steiner: Manchmal passt ein Selfie eben am besten! (Foto Iris Steiner)

Für seinen großen Abend hat sich Calleja etwas Besonderes einfallen lassen und lässt es sich auch nicht nehmen, höchstselbst vor Ort mitzuarbeiten und etwa die Akustik der Arena während der Probe zu überprüfen. Ein Open-Air-Konzert an „einem der schönsten Orte der Insel“, beschreibt er das Fort Manoel in Gżira. Mit Recht: Einen pittoreskeren Bühnenhintergrund als den Blick aufs Meer und die gegenüberliegende Landzunge der ab 1723 erbauten Festung erlebte wahrscheinlich selbst das Malta Philharmonic Orchestra selten zuvor. Ins ausverkaufte Auditorium pilgerten vorwiegend einheimische Besucher allen Alters – die recht schmale Straße hinauf zum Fort war besser fußläufig zurückzulegen. Drinnen und draußen herrschte Volksfeststimmung, Wein, Pizza und südländisches Durcheinander inklusive. Dass die Veranstaltung mit 45 Minuten Verspätung begann, störte niemanden, letztendlich kamen alle auf ihre Kosten: Bekannte Arien sowie Film- und Tenorschlager, abwechselnd und gemeinsam vorgetragen von Domingo und Calleja, unterstützt von verschiedenen Soprankolleginnen und Kinderchor, illuster inszeniert mit einem auf Malta generell sehr beliebten Feuerwerksspektakel.

Im kommenden Jahr verkörpert Calleja, der selbst noch nie in Bayreuth war, den Parsifal in der dortigen Neuproduktion des US-Regisseurs Jay Scheib. Eine Produktion, die wegen der angekündigten Augmented-Reality-Umsetzung bereits im Vorfeld mit besonderem Interesse erwartet wird. Auch für den Malteser ist es ein besonderes Debüt an einem besonderen Ort. „Ich arbeite an dieser Rolle mit sehr großer Ernsthaftigkeit. Bayreuth ist nicht irgendein Opernhaus, es ist ein Operntempel.“ Auch in dieser Rolle ist Plácido Domingo sein Vorbild und – gefragt nach aktuellen Kollegen – „natürlich Jonas Kaufmann“. Nichtsdestotrotz: Eine persönliche Note zu hinterlassen, ist ihm wichtig. „Ich möchte dem Parsifal mit meiner lyrischen und gleichzeitig kraftvollen Stimme eine besondere Süße verleihen. Und die Kenntnis der Sprache im deutschen Repertoire ist für mich unbedingt erforderlich. Also lerne ich bereits seit geraumer Zeit ganz fleißig Deutsch.“

Talentförderer auf der Suche nach dem Lebensglück

Ist man durch ein Heimatland, das erst 1964 politische Unabhängigkeit erlangte, denn eigentlich per se politisch geprägt? „Ich liebe mein Land“, lautet Callejas überzeugte Antwort, „aber das ist mehr ein Gefühl des Stolzes. Wir sind klein und großartig – und haben viel erreicht. Politik ist da nur ein Handwerkszeug von mehreren. Leider eines, das oft missbraucht wird.“ Ein umtriebiger Botschafter „im Sinne der Sache“ ist er zweifellos: Seine „BOV Joseph Calleja Foundation“ zur Förderung junger maltesischer Künstler im Ausland hat in den acht Jahren ihres Bestehens bereits 1,5 Millionen Euro gesammelt. Wenn es darum geht, die zerstörte Valetta Oper wieder aufzubauen, ist Calleja ebenfalls federführend. Er holt berühmte Gesangs-Kollegen aus aller Welt zu gemeinsamen Konzerten ins kleine Malta und verhilft den Nachwuchstalenten des Landes durch Domingos hochangesehenen Operalia-Wettbewerb zu internationalen Karrieren.

Und was kommt jetzt noch „Neues“ nach 25 Jahren? Vielleicht im Hinblick auf das Alter seines nach wie vor umtriebigen Mentors ­Domingo? Joseph Calleja wirkt entspannt, lacht bei dem Vergleich kurz auf: „Ich lebe von Tag zu Tag und habe ehrlich gesagt ­bereits jetzt mehr erreicht, als ich jemals dachte. Was mir für die Zukunft wirklich wichtig ist – und das meine ich jetzt aus vollem ­Herzen: glücklich und gesund sein. Und mit meinem ­Kindern segeln gehen!“

Happy 25th Career Anniversary!

Dieser Artikel ist eine Leseprobe aus unserer Ausgabe September/Oktober 2022

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Ludwig, Louis und die Musik

Rap meets Beethoven im Knast: „Himmel über Adelsheim“, ein soziokulturelles Projekt des Stuttgarter Kammerorchesters

Rap meets Beethoven im Knast: „Himmel über Adelsheim“, ein soziokulturelles Projekt des Stuttgarter Kammerorchesters

von Rüdiger Heinze

Klar sei er aufgeregt. So viele Menschen wie jetzt im Stuttgarter Wilhelma Theater haben er und seine Kumpels seit Langem nicht mehr auf einem Fleck gesehen. Und der Anstaltsleitung solle ja auch gezeigt werden, dass man in den vergangenen Wochen nicht nur Kaffee getrunken hat. Außerdem: „Ich war noch nie nüchtern bei einem Hip-Hop-Auftritt draußen, das ist jetzt eine ganz neue Erfahrung für mich.“

Louis, „21 Jahre jung“, wie er selbst sagt, ist Insasse einer der größten Jugendstrafanstalten Deutschlands. Mit 417 Plätzen für männliche Straftäter plus Zusatzbetten für Untersuchungshäftlinge. Drumherum eine 1.300 Meter lange, 5,5 Meter hohe Mauer, über die von draußen schon mal (mit was auch immer) gefüllte Tennisbälle fliegen. Etliche werden abgefangen, einige nicht. Deswegen gibt es auch gelegentlich Urin-Proben. Jüngst traf es auch Louis, um 7 Uhr in der Früh und unpassenderweise am Tag des ersten Konzertauftritts. Befund: negativ, zum Glück. Im „positiven Fall“ – Louis sitzt hier, weil er Drogen vertickt hat – wäre ein 100.000 Euro teures, stark sponsorengestütztes soziokulturelles Projekt geplatzt. Denn Louis ist Protagonist und unabkömmlich bei der „Beethoven-RAPsody“ aus der Jugendstrafanstalt Adelsheim nahe Heilbronn. Einen internen Rap-Wettbewerb unter zehn Teilnehmern hatte er dort schon gewonnen, hörbares Talent und Darstellungswille sind fraglos vorhanden. Jetzt kommt Gesamtverantwortung hinzu, siehe Urin-Probe.

Nicht alle der ursprünglich 22 Insassen-Teilnehmer sind hier bei der Generalprobe zu „Himmel über Adelsheim – Eine Beethoven-RAPsody“ in einer Turnhalle der JVA noch dabei. Aktuell sind es nur noch 15, denn es gab auch Zwischenfälle mit Disziplinarmaßnahmen. Von den 15 wiederum dürfen nur neun mit leichteren Haftbedingungen zur öffentlichen Aufführung ins Stuttgarter ­Wilhelma Theater, was insofern schade ist, als es dort fünf erklatschte Zugaben geben soll. Neun können mit, aber nur acht kehren – nach Körperkontrolle – zurück nach Adelsheim. Für einen heißt es mit dem finalen Klatscher: Entlassung. Dieser Eine übrigens bleibt um des Projektes Willen zwei Nächte länger in der JVA als vorgesehen. Das kann man guten Gewissens schon mal als einen Erfolg des ganzen Unternehmens verbuchen.

Rap, Klassik, Tanz, Pantomime, Breakdance, Chorgesang, Beatbox – und ganz viel Spaß (Foto Oliver Röckle)
Rap, Klassik, Tanz, Pantomime, Breakdance, Chorgesang, Beatbox – und ganz viel Spaß (Foto Oliver Röckle)

„Drinnen und Draußen“ – Begegnung auf Augenhöhe

Maßgeblich auf die Beine gestellt wurde das Projekt vom Stuttgarter Kammerorchester – und zwar aus der Überlegung heraus, welche gesellschaftlich randständigen Gruppen partizipativ mit dem Ensemble tätig werden könnten. Um Kunst geht es im speziellen Fall natürlich auch, vor allem aber um „Sozialarbeit, und zwar zu 90 Prozent“, wie es Katharina Gerhard formuliert, die für das Vermittlungsprogramm des ­Stuttgarter Kammer­orchesters zuständig ist. Das heißt konkret: Stärkung von Ausdrucksfähigkeit und Selbstbewusstsein, Stärkung der Konzentration und der sozialen Umgangsformen.

Und so treffen nun Beethoven auf Rap und eineinhalb Dutzend feinsinnige Streicher des Orchesters sowie die Chordamen der Musikschule Möckmühl auf markige, sichtbar nervöse Jungs. Eine durchaus reizvolle, aparte, kurzweilige Gemengelage. Ebenfalls dabei sind Mitarbeiter der JVA, ein Seelsorger und eine Verwaltungssekretärin im Chor, ein Werkmeister auf der türkischen Laute, ein Vollzugsbeamter als Breakdancer: alles in einem „Rap im Knast“-Workshop erarbeitet, wie ihn bundesweit Danny Fresh, im wirklichen Leben Daniel Ohler, anbietet. Wichtig ist, dass sich „Drinnen und Draußen“ – soweit möglich – auf Augenhöhe begegnen und Respekt zeigen vor dem Gegenüber und dessen Können. Es geht um Gemeinsamkeit, so wie auch zehn „externe“ Lehrlinge die JVA zur Berufsausbildung täglich besuchen. Regisseurin Nina Kurzeja beteuert, dass es – eben aufgrund der verabredeten Augenhöhe – bei szenischen Anweisungen nie Akzeptanz-Probleme gegeben habe. Womöglich ist das draußen in der Freiheit im Zweifelsfall noch anders als bei diesem, übrigens ausschließlich von Frauen geleiteten, Musikprojekt im Knast. Neben Kurzeja und Gerhard sind auch noch Dirigentin ­Viktoriia ­Vitrenko und Ausstatterin Marie ­Freihofer mit von der Partie.

„Nur wer die Sehnsucht kennt“ – eine Fusion geht unter die Haut

Und dann hebt sie an, die Show, deren Texte nicht zensiert sind. Darauf legt der JVA-Leiter, Regierungsdirektor Dr. Nikolas Blanke, Wert. Obwohl sie in manchem Detail nicht seinen eigenen Überzeugungen entsprechen. Gut möglich, dass er damit solche Rap-Zweizeiler meint: „Mit Sechzehn dachte ich, ich hätte alles im Griff – doch wurde vom Schicksal gefickt.“ Wichtiger jedenfalls waren Blanke der individuelle Ausdruck von Erfahrungen und Gefühlen in einer jeweils passenden Form bis hin zum Gangsta-Rap. Das Textbuch zur Aufführung vermerkt denn auch geflissentlich-fettgedruckt: „Selbst ein Genie wie Beethoven hatte durch seine chaotische Lebensweise Probleme mit der Staatsgewalt.“ Da treffen sich dann Ludwig, Louis und die Musik. Alles ist Collage und Fusion: Rap, der Klassik-Titan mit Kunstliedern und seinem chorisch aufgeführten Streichquartett „serioso“, op. 95, Tanz, Pantomime, Breakdance, Chorgesang, Beatbox.

JVA trifft Kammer­orchester: ein geglücktes Experiment mit Vorbildcharakter (Foto Oliver Röckle)
JVA trifft Kammer­orchester: ein geglücktes Experiment mit Vorbildcharakter (Foto Oliver Röckle)

Einiges davon hört man in dieser besonderen Umgebung vollkommen neu, etwa Beethoven und seine Vertonung von „Nur wer die Sehnsucht kennt, weiß, was ich leide“ oder seinen „Erlkönig“ („Gar schöne Spiele spiel’ ich mit dir“, „Und bist du nicht willig, so brauch’ ich Gewalt“). Aber: Beethoven ist schön und gut und wahr. Unmittelbar eindrücklicher, energetischer vor der gegeben-abgesperrten Situation ist so mancher selbstverfasste Rap – beziehungsweise deren gemeinsame Nenner. Hört eine genau hin, liest einer genau nach, so sticht in Ohr und Auge, was immer wieder Gegenstand der rhythmisch-straighten Songs ist: die Tränen der Mütter über den verlorenen Sohn, dazu eine besungene innere Leere. Beides macht nachdenklich – vor allem im Verbund mit Geständnissen, Selbstbezichtigungen („Meine Versprechen, ja, sie waren immer mangelhaft“), Credos („Ich schaue dem Teufel in die Augen, um Gott wieder zu sehen“), Erinnerungen („Es war ’ne schöne Zeit. Als ich nach Hause kam, gab es immer was Warmes zu essen“), Plänen („Hab’ ein Kind, deshalb muss ich jetzt ein Vorbild sein“). Sätze, die beklemmen, Sätze, die rausmüssen auf der Folie der Kunst. 50 Prozent der jungen Insassen (Durchschnittsalter: 20 Jahre) haben denn auch ein Broken-Home-Leben hinter sich. Beethovens „Fidelio“ spielt da keine Rolle, wir haben es nicht mit politischen Gefangenen zu tun. Erstaunlich blass jedoch ist im Gesamtzusammenhang der ins Boot geholte Profi-Rapper „Afrob“, sowohl vokal wie körpersprachlich. Meint auch der 19-jährige Slako, Gefangener mit Heimat Konstanz: „Absolut unauthentisch.“

Tamara Scherer, Sozialarbeiterin und Freizeitpädagogin in der JVA Adelsheim, spricht einen bemerkenswert zweigeteilten Satz: „Die Jungs sind begeisterungsfähig für alles – Hauptsache raus aus der Zelle.“ Louis, der nicht mehr viel Zeit im Knast vor sich hat, wenn der Richter mitspielt, widerspricht dem nicht. Er, der Hip-Hopper, sei am Anfang nicht ganz mit Herz und Seele dabei gewesen. Aber er wisse genau, was für ihn zu tun sei demnächst. Erstens: Bewährung einhalten. Zweitens: die Verwirklichung seines Traumes, Musik zu machen. „Dafür ist das Projekt doch schon ein ganz guter Anfang.“ Wobei: „Der deutsche Mainstream-Rap ist nichts für mich.“ Wir drücken die Daumen, er hätte die Chance verdient …

Es gibt übrigens bereits Nachfrage nach württembergischen Folgeprojekten. Vielleicht ja das nächste Mal in der Frauenhaftanstalt Schwäbisch Gmünd?


Lieber Louis und all die anderen,

ich denke, Ihr lest das irgendwann. Deshalb: Vielen Dank für Eure beeindruckende Performance – „großes Kino“! Ihr habt gezeigt, was ihr draufhabt. Vergesst später nie, wie sich das angefühlt hat, auf dieser Bühne zu stehen – vor allem, wenn „draußen“ das Leben schwierig wird. Man kann sehr viel schaffen, wenn man wirklich will und sich dafür reinhängt. Nicht alles klappt auf Anhieb und immer – bei niemandem. Niederlagen sind keine Schande. Von Herzen alles Gute für Euch, Ihr habt unseren Autor und mich schwer geflasht an diesem Nachmittag!

Iris Steiner, „orpheus“-Redaktion

Dieser Artikel ist eine Leseprobe aus unserer Ausgabe September/Oktober 2022

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Für Gefühle war da keine Zeit

Nachgefragt bei Michael Kupfer-Radecky, dem sehr spontanen „Einspringer-Wotan“ der Bayreuther Premieren-„Walküre“

Nachgefragt bei Michael Kupfer-Radecky, dem sehr spontanen „Einspringer-Wotan“ der Bayreuther Premieren-„Walküre“

Interview Iris Steiner

Wie und wann haben Sie erfahren, dass Sie den dritten Akt der „Walküre“ von Tomasz Konieczny übernehmen sollen? Wie wir wissen, hatte dieser im zweiten Akt einen schweren Bühnenunfall mit einer Liege, die unter ihm zerbrochen ist.

Ich habe das ungefähr 20 Minuten nach Beginn des zweiten Akts erfahren – zuhause in meiner Wohnung außerhalb von Bayreuth. Das Festspiel-Betriebsbüro rief an und meinte: „Michael, könntest Du vielleicht kurz kommen? Wir wissen gerade nicht genau, was passiert – komm bitte sicherheitshalber mal.“ Ja, dann bin ich hin. Anderthalb Stunden vor Beginn des dritten Akts war ich im Festspielhaus und fünf Minuten nach Beginn der Pause nach dem zweiten Akt hieß es: „Michael, jetzt übernimm bitte den dritten.“

Waren Sie denn als Cover für die Partie vorgesehen?

Nein, aber ich hatte vor sechs, sieben Wochen eine sogenannte Stand-in-Probe. Der Kollege Konieczny konnte damals noch nicht vor Ort sein, aber das Regieteam brauchte jemanden, der bei den Bühnenproben da steht, damit die Kolleginnen und Kollegen einfach eine Bezugsperson haben. Deswegen habe ich zwei Tage quasi mitgeprobt, aber danach die Regie und das, was ich dort aufgenommen hatte, sofort wieder vergessen. Weil ich ja kein offizielles Cover war.

Es war Ihr erster und dann noch sehr spontaner Wotan-Einsatz in Bayreuth. Ihr Schluss als trauriger Gott war für uns einer der bewegendsten Momente des Abends. Was haben Sie in diesem Moment und kurz vorher gefühlt? Über was denkt man in einem solchen Augenblick nach?

Tja, die Gefühle vorher und nachher: privat gar keine, denn dafür hat man keine Zeit. Was ich noch sehr gut aus den Proben wusste, war die intensive Charaktersituation, die mir Valentin Schwarz geschildert hatte. Das konnte ich mir sehr gut zurückrufen. Und diese Emotion des Alleinseins, des Wegschickens des liebsten Menschen, was einen völlig zerbricht und dass die eigene Welt, das eigene Drumherum zusammenbricht und nicht mehr funktioniert, das kam in dem Moment in mir hoch, als ich dort auf der Bühne lag.

Kann eine solche Situation eine Karriere auch negativ beeinflussen? Hatten Sie Angst, vor den Ohren der Opern-Weltöffentlichkeit zu scheitern?

Ich habe wie gesagt nicht so viele Gedanken daran verschwendet in dem Moment oder davor. Danach, als der Vorhang zuging, dachte ich mir schon: Gott, was hast Du jetzt gemacht …! Da kam’s dann bei mir erst an. Es sind mir ja doch – da ich die Partie länger nicht gesungen, aber präsent hatte – ein, zwei Textfehler passiert. Und auch hier und da war ich nicht immer ganz mit Cornelius Meister zusammen … aufgrund der Situation des Einspringens. Da gab’s dann kurz schon den Moment, in dem man überlegt, ob das jetzt richtig war. Hätte ich es rein aus karrieretechnischen Gründen nicht lieber lassen sollen? Aber dann hat beim Vorhang-Rausgehen das wunderbare Entgegenkommen des Publikums und die schöne Presse danach bestätigt, dass es die richtige Entscheidung war. Und jetzt schauen wir mal.

Weil Sie das gerade eben erwähnt hatten: Wann und wo haben Sie den Wotan denn schon gesungen?

Das letzte Mal vor anderthalb Jahren am New National Theatre Tokyo, davor an der Staatsoper Budapest, am Staatstheater Oldenburg und ganz zu Beginn bei den Tiroler Festspielen Erl.

Vier Tage nach seinem Spontan-Einspringen das eigentliche Debüt: Als Gunther („Götterdämmerung“) war Michael Kupfer-Radecky nach Bayreuth engagiert worden (Foto Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath)

Wie waren generell die Reaktionen auf Ihren Einspringer-Einsatz? Die Kritik hat mit Lob ja nicht gespart, wie Sie selber sagen …

(lacht) Das ging auch so weiter im Privaten. Ich hatte so etwas noch nie erlebt. Als die Vorstellung vorbei und ich mit den Kolleginnen und Kollegen bei einem Aftershow-Bier war, ist mein Handy explodiert. Das kannte ich zwar von Kollegen schon, aber wie viele Nachrichten da auf einmal gekommen sind von Menschen, mit denen ich überhaupt nicht gerechnet hatte, war schon sehr erstaunlich. Die Reaktionen waren von professioneller wie von privater Seite unglaublich positiv und sehr, sehr erfreulich.

Möchten Sie den Wotan in Bayreuth denn generell einmal in Erstbesetzung singen?

Naja, diese Frage mit „Nein“ zu beantworten, wäre natürlich nicht richtig. (lacht)

Andersherum gefragt: Sind Ihre Chancen jetzt gestiegen, den Wotan in Bayreuth einmal in Erstbesetzung singen zu können?

Ach, das weiß ich gar nicht. Das hängt von so vielen Dingen ab, da bin ich realistisch. Ich glaube, ich habe eine gute Visitenkarte abgegeben – und werde einfach warten, was passiert. Ich habe einen sehr guten Kontakt zur Festspielleitung hier und werde den aktuellen „Ring“ als Gunther auf jeden Fall bis zum Ende begleiten, das steht schon fest. Was dann darüber hinaus passiert – jetzt speziell bei den Bayreuther Festspielen – das wird man sehen in den nächsten Monaten oder im nächsten Jahr. Klar, der Wunsch wäre da, das wäre sicher ein Traum. Aber ob die Chancen größer oder weniger groß dadurch geworden sind, kann ich nicht beurteilen.

Sie haben in Ihrer eigentlichen Rolle als Gunther ebenfalls durchweg positive Kritiken erlebt und sind auch positiv in Erscheinung getreten. Der Beifall des Bayreuther Publikums hat das auch bestätigt. Die Regie fiel dagegen weitgehend durch. Sie hätten jetzt die Chance, etwas zu Valentin Schwarz’ Konzept zu erzählen, was wir bisher noch nicht wussten und vielleicht wissen sollten.

Ehrlich gesagt, hat uns Valentin zumindest in der Arbeit an der „Götterdämmerung“ mit allem, was davor passiert, nicht so sehr „belästigt“, damit wir uns auf das Eigentliche konzentrieren. Ich habe erst mit den Generalproben einen großen Bogen bekommen und dann aber viele Sachen, die wir in der „Götterdämmerung“ gemacht haben, verstanden und nachvollziehen können. Ich bin aber natürlich auch sehr beteiligt und sehr „mit drin“ durch die ganze Probenarbeit und das intensive Miteinander-Arbeiten. Ich sehe da eine Linie. Ob die jetzt richtig ist oder nicht für den Einzelnen, möchte ich nicht beurteilen, das steht mir auch nicht zu. Ich verstehe sie, finde sie gut und habe Spaß daran gehabt. Valentin Schwarz hat es verstanden, uns als Sänger-Team mit seinen Ideen zu begeistern, es war ein sehr schönes, intensives Arbeiten mit ihm. Das ist heutzutage leider nicht mehr selbstverständlich.

Konzerthaus am Abgrund

Interview mit Dr. Wolfgang Heubisch

Interview mit Dr. Wolfgang Heubisch

In München steht ein Hofbräuhaus – und eben kein Konzerthaus, wenn es nach den neuesten Plänen der Bayerischen Staatsregierung geht. Eine plötzliche Kehrtwende mitten in laufender Planung. Zukunftsvision: Fehlanzeige

von Iris Steiner

Ein „Langzeitprojekt für kommende Generationen“ sollte es werden und das weltweit erste Konzerthaus mit vollkommener Ausrichtung auf das Zeitalter der Digitalisierung. Ein Haus der Musik und der Musikvermittlung, darüber hinaus kreativer Gestaltungsort für innovative Kunstformen. Noch Mitte 2021 seitens der Bayerischen Staatsregierung als „Jahrhundertprojekt“ gefeiert und vom Bayerischen Landtag abgesegnet, macht Ministerpräsident Söder jetzt einmal mehr das, was er am liebsten tut: einen medienwirksamen Alleingang ohne Vorankündigung. Ist diese von oben verordnete Denkpause denn wirklich nötig? Wäre es nicht eher ein Fall für den Bayerischen Obersten Rechnungshof, wenn leichtfertig Millionen für Planung und Erbpacht bewilligt wurden? Nicht nur die eigens gegründete „Stiftung Neues ­Konzerthaus München“ läuft Sturm, auch die Opposi­tion im Bayerischen Landtag will das so nicht stehen lassen. Wir fragen den kulturpolitischen Sprecher der FDP im Bayerischen Landtag und Kunstminister a.D., Herrn Dr. Wolfgang Heubisch.


Dr. Wolfgang Heubisch (Foto FDP-Fraktion im Bayerischen Landtag)

Warum spricht Ministerpräsident Söder in der Öffentlichkeit ausschließlich von einem Konzertsaal, obwohl es sich um ein ganzes Konzerthaus mit eigener künstlerischer Konzeption handelt? Übrigens hat er noch im Juni 2020 selbst genau damit argumentiert …
In der Vergangenheit wurde das umfassende Gesamtkonzept selbst in der öffentlichen Diskussion leider etwas flapsig oft auf den großen Saal reduziert – wir reden aber von einem Haus mit drei Sälen. Entweder hat das selbst der Ministerpräsident bisher noch nicht ganz verstanden, oder er bedient sich bewusst dieser irreführenden Rhetorik. Erwartungsgemäß bekam er viel (mediale) Zustimmung bei seinem Vorstoß, derartig hohe Ausgaben für einen Orchester-Konzertsaal in der heutigen Zeit infrage zu stellen. Dass er andere wichtige – vielleicht sogar die entscheidenden – Funktionen des Hauses nicht einmal erwähnt, macht im Sinne seiner Argumentation natürlich Sinn. Den vergleichsweise geringen Anteil von Konzertbesuchern in der Bevölkerung zu vernachlässigen, bringt wenig Nachteile im Hinblick auf die Landtagswahlen. Schwieriger würde es dann schon bei den Folgen öffentlichen Opponierens gegen eine bayernweit einzigartige, zukunftsweisende Bildungsstätte, die das Konzerthaus ja auch ist. Es macht also taktisch Sinn, diesen Aspekt aus der öffentlichen Debatte möglichst herauszuhalten.

Im Juli 2021 hat der Bayerische Landtag mitten in der Pandemie einvernehmlich beschlossen, die Planung des Konzerthauses fortzusetzen. Wieso argumentiert Ministerpräsident Söder neuerdings, dass die Quasi-Absage eine Reaktion auf die veränderte Situation infolge der Pandemie ist?
Ich halte das für eine Hilfsbegründung, um seine Grundthese zu stützen. Selbst in der Hochphase der Pandemie sprach man an offiziellen Stellen des Kunstministeriums immer von einem „absoluten Superprojekt“. Zeitlich passt die Begründung überhaupt nicht, das sehen Sie völlig richtig. Die hat er sich wohl ausgedacht – und dann gleich den neu installierten Kunstminister Blume zur weiteren Abarbeitung in seinem Sinne vorgeschoben.

Trotzdem wird offensichtlich unverändert weiter geplant, 36 Millionen Euro sind bereits ausgegeben und noch immer arbeiten etwa 100 Menschen am Projekt Konzerthaus – Fachplaner, Akustiker und Raum­klimaspezialisten. Und dass, obwohl es quasi schon „beerdigt“ ist. Wie würden Sie das nennen, wenn nicht „Steuergeldverschwendung“?
Das wüsste ich auch gerne. Vor allem wäre interessant, was diese „Zeit zum Nachdenken“ genau bedeutet, von der Söder immer spricht. Auf jeden Fall eine ganz enorme Kostensteigerung. Ich kann nur spekulieren, dass es sich möglicherweise um bewusstes Verzögern und geplantes Beerdigen direkt nach der Landtagswahl 2023 handelt. Denn wenn ein neuer Kunstminister als erste Amtshandlung eine derartig deutlich ablehnende Aussage macht, wie Markus Blume das in dieser Sache getan hat, ist es zweifellos der thematische Supergau. Ich wüsste auch nicht, wie ein von Fachleuten entwickeltes Zukunftskonzept aus optimaler Musikdarstellung, diversen Studiengängen und kultureller Bildung durch „Nachdenken“ seitens der Staatsregierung verbessert werden könnte. Keine Ahnung, auf welche göttlichen Eingebungen man da wartet.

Sie hatten es bereits angesprochen, Ministerpräsident Söder hat vor Kurzem ausgerechnet die Bau­ministerin und den Kultusminister in seinem Kabinett ausgetauscht, drei Wochen später dann öffentlich vom größten Kulturbauprojekt Bayerns Abstand genommen. Sehen Sie da einen Zusammenhang?
Ich will das nicht ganz ausschließen, weiß aber auch, dass er das Projekt in dieser Art bereits früher infrage gestellt und erneut geprüft haben wollte. Kunstminister Sibler war im Gegenzug immer ein großer Befürworter und sprach von einem „Jahrhundertprojekt“. Die eigentliche Kommunikationskatastrophe dieser kompletten Meinungsumkehr hat Söder dem Nachfolger überlassen und einen Tag später selbst in einem Zeitungsinterview begründet.

Es gab vor Kurzem die populistisch inszenierte Aussage Söders, dass der Bau am Ende eine Milliarde Euro kosten wird, prognostiziert und belegt wurden im vergangenen Jahr allerdings 580 Millionen. Wie begründet der Ministerpräsident diese derartige Kosten­explosion in so kurzer Zeit – und wie belegt er seine Zahl?
Söder denkt in medialen Aufschlägen. Er weiß, wenn er mit einer Milliarde Euro Kosten für einen Konzertsaal argumentiert, wird das eine prominente Meldung. Er versucht, mit einem Satz zu sagen, dass ihm das alles viel zu teuer ist. Der Verweis auf die Kostenexplosion beim Bau der Hamburger Elbphilharmonie hinkt in diesem Zusammenhang übrigens sehr. Die Hamburger haben zwar steigende Kosten ebenfalls scharf diskutiert, trotzdem immer wieder aufgestockt und damit genau den Kommunikationsschock verhindert, den Söder hier fast schon provoziert. Und schauen Sie doch mal, die „Elphi“ wurde bereits nach kurzer Zeit ein Wahrzeichen Hamburgs, Publikumsmagnet und ein wirtschaftlicher Erfolg. Man hat die Öffentlichkeit über alle Schwierigkeiten informiert und positiv in die Zukunft argumentiert – weil man das Gebäude wollte. Das ist der Unterschied. Ab und zu wird zwar auch bei uns verschiedentlich darauf hingewiesen, dass die genannte Milliarde völlig aus der Luft gegriffen sei. Aber so richtig „platzieren“ lässt sich das Thema nicht. Ich persönlich halte das Vorgehen des Ministerpräsidenten in diesem Fall für höchst unseriös. Ich befürchte, dass es negative Folgen hinsichtlich der gesellschaftlichen Akzeptanz von Großprojekten – nicht nur kultureller Art – haben wird: bei Initiatoren, in der Bevölkerung, bei privaten Förderern und Freundeskreisen, bei Sponsoren und im bürgerschaftlichen Engagement.

Bleiben wir noch ein wenig bei Söders medialer Strategie. Er spricht durchwegs von einem „Konzert­tempel“ – und müsste eigentlich wissen, dass es das genau nicht ist, sondern ein niederschwelliges Konzept mit Schwerpunkt auf Bildung und zukunfts­weisender Digitalisierung.
Es wurde in einigen Medien und auch von uns in der Opposition immer wieder darauf hingewiesen, dass diese Darstellung zumindest unvollständig ist. Leider war die Resonanz in der Bevölkerung schwach und auch die Medien behandeln Kulturthemen recht stiefmütterlich. Der Begriff „Kulturtempel“ ist hier gleichzeitig populistisch und kontraproduktiv, klingt unterschwellig elitär und versnobt. Söder setzt noch einen drauf und formuliert neuerdings dauernd, dass er sich „in der Leberkäs-­Etage“ befindet – was auch immer das bedeutet – anstatt transparent und ehrlich den (manchmal leider kostspieligen) Wert von Kultur für uns alle zu formulieren. Auch der neue Konzertsaal in Nürnberg fiel übrigens diversen Einspar-Argumenten zum Opfer. Man sieht deutlich, dass Kulturprojekte ganz klar nicht ­Söders Schwerpunkt sind, viel lieber benutzt er Begriffe wie „Hightech Agenda“. Ich würde auch das voll unterstützen. Nur: So einseitig darf man nicht denken. Und bei Kunstminister Blume fehlt mir bis heute ebenfalls der Nachweis, dass er die Kultur als Wert für unsere Gesellschaft schätzt. In dem Punkt etabliert er sich eher als Lautsprecher seines Herrn.

So sollte es aussehen, das Münchner Konzerthaus auf dem ehenmaligen Pfanni-Gelände im Osten der Stadt (Foto Renderings Bloomimages für Cukrowicz Nachbaur Architekten ZT GmbH)

Bei dem Grundstück, auf dem das Konzerthaus gebaut werden soll, handelt es sich um einen Erbpachtvertrag mit einer Mindestlaufzeit von 88 Jahren und 600.000 Euro jährlichen Mietkosten. Darüber hinaus besteht die vertragliche Verpflichtung zum Bau eines Konzerthauses. Beschlossen übrigens unter Leitung des damaligen Finanzministers Söder …
Aufgrund des Index-Mietvertrages sprechen wir heute schon von fast 700.000 Euro und ja, auch die Nutzung als Standort für das Konzerthaus ist Vertragsbestandteil. Wenn das jetzt nicht kommen sollte, wird man dem Grundstückseigentümer an anderer Stelle entgegenkommen müssen oder freiwillig einen Aufpreis für eine mögliche Umnutzung bezahlen. Es handelt sich um einen sehr vermieterfreundlichen Vertrag, die Komplettaufgabe des Projektes auf diesem Grundstück hat ganz sicher die eine oder andere kostenintensive Konsequenz.

Die Stadt München war nie begeistert vom Standort auf dem ehemaligen Pfanni-Gelände im Osten. Erwartungsgemäß ruhig verhält sich der Münchner (SPD)- Oberbürgermeister Reiter. Halten Sie den Vorschlag, die Interimsspielstätte Isarphilharmonie länger als vorgesehen zu nutzen, für eine gute Idee?
Schon unter Seehofer hat man versucht, eine gemeinsame Lösung mit der Stadt München zu finden, die den sanierungsbedürftigen Münchner Gasteig mit einbezieht. Diese Gespräche wurden mit der Begründung abgebrochen, dass zwei so unterschiedliche Orchester wie das des Bayerischen Rundfunks und die Münchner ­Philharmoniker nicht gleichberechtigt in einem Saal unterzubringen sind. Allerdings hat die Stadt ­München bis heute keinen Investor für den notwendigen Gasteig-­Umbau gefunden. Daher kommt die Situation fast schon gelegen, da man möglicherweise den Freistaat jetzt doch wieder zu Kooperationsgesprächen bewegen kann. Es ist überflüssig zu erwähnen, dass ein Konzept wie das des neuen Konzerthauses nicht in den Gasteig installiert werden kann, bei dieser Lösung geht es dann wirklich nur um den gesuchten Orchester-Spielort. Ein komplett anderer, viel kleinerer Ansatz, der aber im Zuge des Umbaus übrigens auch mindestens 450 Millionen Euro kosten würde. Was die Isarphilharmonie betrifft: So wunderbar und charmant dieses Konzept jetzt für das Interim ist, auch dort müsste man für eine längerfristige Nutzung deutlich Geld in die Hand nehmen. Es gibt weder ordentliche Künstlergarderoben noch eine ausreichende Toiletten- und Pausensituation. Und wir sprechen übrigens wieder nur über einen Saal. Noch dazu einen, dessen Bühne zu klein für Mahler oder Strauss ist. Aber ob das Herrn Söder interessiert?

Wie stehen Sie zu dem berechtigten Einwand, dass in der Stadt München die Einwohnerzahlen seit Jahren steigen, während die Sitzplatzkapazitäten der Kultureinrichtungen stagnieren?
Dieses Argument habe ich selbst im Landtag eingebracht, nachdem Söder sich vom Konzerthausplan in der ursprünglichen Form offensichtlich verabschiedet hat. Wir vergessen total, dass die Bevölkerung in München und darüber hinaus konstant wächst und es schon deshalb ein größeres Angebot braucht. Was ich auch nicht verstehe: Unser Ministerpräsident schwärmt zwar permanent von Künstlicher Intelligenz und Quantentechnologie, lässt diese sehr nachvollziehbaren Argumente hinsichtlich einer zukunftsfähigen Kulturinstitution aber überhaupt nicht gelten – geschweige denn, dass er sie argumentativ nutzt. Bayern ist laut seiner Verfassung Kulturstaat. Kultur ist weit mehr als systemrelevant. Gerade in einer Zeit, in der sich sicher geglaubte Gewissheiten in Rauch auflösen und kulturelle Identitäten bedroht werden, brauchen wir den völkerverbindenden Dialog und kulturellen Diskurs mehr denn je. Dieser Austausch – weit über München und Bayern hinaus – ist eine Chance des neuen Konzerthauses.

Dieser Artikel ist eine Leseprobe aus unserer Ausgabe Juli/August 2022

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Netzwerken für die Zukunft

Die Buchmann-Mehta School of Music in Tel Aviv

Die Buchmann-Mehta School of Music in Tel Aviv

von Tobias Hell

Es ist eine Symbiose, wie man sie so nur selten erlebt. Denn während in den meisten europäischen Musikzentren Studierende nach ihrem Hochschulabschluss auf Vorspiele oder einen der begehrten Plätze in den Akademien der Spitzenorchester hoffen, bekommen junge Musikerinnen und Musiker in Tel Aviv schon früh einen Einblick ins spätere Berufsleben. Möglich wird dies durch die Arbeit der Buchmann-­Mehta School of ­Music (BMSM), die 2005 durch den Zusammenschluss der Universität von Tel Aviv mit dem Nachwuchsprogramm des Israel Philharmonic ­Orchestra (IPO) entstand. Zwei weltberühmte Institutionen, verknüpft durch zwei nicht minder bekannte Namen, die man auf dem Campus bis heute in Ehren hält. Der Frankfurter Geschäftsmann und Holocaust-Überlebende Josef ­Buchmann und seine Frau Bareket, Mäzene auch zahlreicher anderer wohltätiger Projekte, zählen schon lange zu den Förderern des ­Israel Philharmonic Orchestra und schafften es auch, den langjährigen Chefdirigenten des Ensembles, Zubin Mehta, mit ins Boot holen. Der ließ sich sofort für die Kooperation ­begeistern und trat als neuer Ehrenpräsident der BMSM das Erbe solch prominenter Vorgänger wie Arnold Schönberg und ­Leonard Bernstein an.

Nach diesen Titanen startet inzwischen aber auch eine junge Generation israelischer Musikerinnen und Musiker von Tel Aviv aus zur großen internationalen Karriere. Jüngstes Beispiel ist hier unter anderem der frisch gekürte Chef des Israel Philharmonic ­Orchestra, Lahav Shani, der seine Ausbildung ebenfalls an der Buchmann-Mehta School of Music erhielt und es sich genau wie sein Vorgänger nicht nehmen lässt, seine Erfahrungen nun selbst an die junge Garde weiterzugeben. Gekrönt mit dem alljährlichen Konzert des Schulorchesters im Charles Bronfman Auditorium, dem Stammquartier des IPO.

Dass mit Lahav Shani und seinem Kollegen Dan Ettinger an der benachbarten Israeli Opera erstmals in der jungen Geschichte des Landes zwei der bedeutendsten Musik-­Institutionen Israels von einheimischen Dirigenten geleitet werden, ist eine Tatsache, deren volle Tragweite dem Publikum der pulsierenden Mittelmeer-Metropole zum Teil noch bewusst werden muss. Für die Verantwortlichen der Buchmann-Mehta School of ­Music ist es allerdings jetzt schon eine Bestätigung für die hohe Qualität der Ausbildung. Finden sich doch auch an den Pulten des IPO zahlreiche Alumni der BMSM.

Sportlich-freundschaftlicher Projekt-Alltag (Foto Yoel Levy)

Tradition und Aufbruch

Die Wurzeln der Schule gehen dabei bis in die 1940er Jahre zurück, gegründet als Israel Academy of Music und später zu Ehren von Samuel Rubin umbenannt. Waren es in den Anfangsjahren noch Musikerpersönlichkeiten aus Russland oder Ungarn, die ihre Traditionen im neugegründeten Staat weiter pflegten, atmet der Campus inzwischen ein internationaleres Flair. Viele Mitglieder des IPO, die hier im Rahmen der Kooperation unterrichten, haben ihre eigene Ausbildung noch in Europa oder den USA ergänzt und neue Impulse mit nach Hause gebracht. Und natürlich gibt es bis heute regelmäßige Meisterkurse renommierter Dirigenten und Solisten.

„Nach Israel kommt man nicht nur für zwei Konzerte“, wie Pianist Tomer Lev erzählt, der 2005 zum ersten Leiter der neugegründeten Institution wurde und nach wie vor in der Klavierklasse aktiv ist. „Die Reise hierher ist aus bekannten Gründen oft etwas komplizierter. Und so bleiben viele Künstlerinnen und Künstler auch gerne mal gleich zwei oder drei Wochen. Sie treten mit dem IPO dann nicht nur in Tel Aviv, sondern auch in Jerusalem, Haifa oder Be’er Sheva auf. Und weil da meistens ein paar freie Tage dazwischen sind, fragen wir einfach immer an, ob sie nicht eventuell auch ein bisschen mit unseren Studierenden arbeiten wollen.“ Ein Angebot, das bislang kaum ein prominenter Gast abgelehnt hat.

Und so lässt sich auf dem Gang zu den Probenräumen eine eindrucksvolle Sammlung von Plakaten bestaunen. András Schiff, Yuja Wang, Murray Perahia und Pinchas Zukerman haben hier ebenso Meisterkurse gegeben wie Kammermusik-Guru Menahem Pressler. Aber auch Eva Mei, Marjana Lipovšek und Thomas Hampson. Ein Name, der besonders oft fällt, wenn man sich mit den Studierenden unterhält, ist aktuell neben Lahav ­Shani vor allem der von Alan Gilbert. Der Chefdirigent des NDR Elbphilharmonie Orchesters hat unter anderem auch bei Ori Ron großen Eindruck hinterlassen. „Es war unglaublich beeindruckend, wie er sich auf uns eingelassen hat. Es war nicht einfach nur ein Meisterkurs für die Dirigierklasse. Ich glaube, alle von uns konnten unglaublich viel von ihm mitnehmen.“ Im selben Gespräch erzählt der junge Cellist ebenfalls vom gerade absolvierten Jugendkonzert mit den Kollegen des IPO. „Gerade nach dem Kultur-Lockdown war es toll, wieder vor einem vollen Saal und so einem Publikum zu spielen.“

Freundschaftliche Konkurrenz in familiärer Atmosphäre

Auftritte mit dem Israel Philharmonic Orchestra stehen zwar regelmäßig auf dem Programm, müssen von den Studierenden aber hart erarbeitet werden. Denn vor jedem Einsatz mit den Profis steht ein hartes Probe­spiel, bei dem man sich gegen seine Studienkolleginnen und -kollegen durchsetzen muss. Ganz so, wie es später auch auf dem freien Markt der Fall sein wird. Wobei die von offizieller Seite gern betonte familiäre Atmo­sphäre auf dem Campus von den Studierenden und den Dozenten gleichermaßen bestätigt wird. So erzählt IPO-Oboist Dudu Carmel, dass tatsächlich einer seiner Schüler den schwer erkämpften Platz beim aktuellen Konzertprogramm großzügig der deutschen Stipendiatin Stella Heutling überließ. „Er meinte, sie wäre ja nur ein Jahr hier, während er wahrscheinlich noch öfter Gelegenheit haben wird. Das ist großzügig, aber eben auch selbstbewusst. Sicher gibt es durch das Vorspielen Konkurrenz, aber trotzdem respektiert man sich gegenseitig.“ Auch dies mag ein Grund dafür sein, dass sich auch immer mehr junge Musikerinnen und Musiker aus Europa, Amerika, Asien und sogar Australien für das Förderprogramm bewerben, um hier ein Jahr lang die reichhaltigen Angebote wahrzunehmen.

BMSM-Direktor Uri Rom und Sharon Rostorf-Zamir, die Leiterin der ­Opernklasse (Fotos Yoel Levy)

Selbst wenn die Kooperation mit dem Israel Philhar­monic Orchestra eines der großen Alleinstellungsmerkmale der Schule darstellt, behauptet sich daneben dennoch auch die Gesangsklasse überaus selbstbewusst. Unter Leitung von Sharon Rostorf-Zamir, die in Deutschland vor allem an der Oper Frankfurt oder bei den Händel-Festspielen Halle von sich reden machte, haben sich neben den Kammermusik-Aktivitäten und der Konzertreihe des Schulorchesters auch die Opernproduktionen der BMSM zum gar nicht mehr so geheimen Geheimtipp gewandelt.

So konnte man dank Förderung der International ­Music & Art Foundation hier zuletzt unter anderem Ravels „L’Enfant et les Sortilèges“ erleben, sowie eine auf historisch informierten Pfaden wandelnde Produktion von Händels „Acis and Galatea“, für die der neu ernannte BMSM-Direktor Uri Rom nicht nur selbst ans Dirigentenpult trat, sondern mit Geigerin Kati Debretzeni ebenfalls eine versierte Orginalklang-Spezialistin als Coach mit ins Boot holte. Ein gelungenes Experiment, nach dem vor allem das Barockrepertoire in Zukunft weiter gestärkt werden soll.

Und wer weiß, vielleicht begegnet man einigen der jungen Sängerinnen und Sänger ja bald auch auf einer europäischen Bühne wieder. So Mezzo Shahar Lavi, die nach ersten Schritten in Heidelberg nun zu den Publikumslieblingen des Nationaltheaters Mannheim zählt, oder BMSM-Absolventin Nofar Jacobi, die gerade mit dem ersten Preis bei der Rita Gorr Opera Competition in Gent ausgezeichnet wurde.

Dieser Artikel ist eine Leseprobe aus unserer Ausgabe Juli/August 2022

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