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Rezensionen 2025/03

24. Februar 2025

Dragqueen in fluider Traumfabrik

Hildesheim / Theater für Niedersachsen (Februar 2025)
Straus’ „Hochzeit in Hollywood“ als burleske und bittersüße Operetten-Spiele

Hildesheim / Theater für Niedersachsen (Februar 2025)
Straus’ „Hochzeit in Hollywood“ als burleske und bittersüße Operetten-Spiele

Die Originalfassung von Oscar Straus’ Operette „Hochzeit in Hollywood“ spielt, bis die Sängerin Mizzi und der Politikersohn Felix ihre Beziehung jenseits des Atlantiks fortsetzen, an einer kleinen Bühne, die – Selbstreferenz darf sein – Straus’ Millionenerfolg „Ein Walzertraum“ auf den Spielplan setzt. Intendant Oliver Graf, die Dragqueen Loreley Rivers als Mizzi und das Ensemble des Theaters überspitzen in ihrer rauschhaften Operetten-Vergegenwärtigung. Aus dem Textbuch von Leopold Jacobson und Bruno Hardt entsteht eine fluide Traumfabrik mit sich auflösenden Kategorien von Frau- und Mann-Mustern. Die dunkel lockende Ausstattung von Sebastian Ellrich steigert sich zu einem Traum in Schwarz, Weiß, Gold.

Anstelle von Champagner perlen Selbstpositionierungen. Denn Sängerin Mizzi soll wegen bürgerlicher Ausgrenzungsschablonen auf den Staatssekretär-Sohn verzichten und tut das schmerzlich gründlich. In Amerika treffen beide wieder aufeinander: die sich im Showbiz ihren Platz erobernde Diva und der abgesunkene Felix, welcher sich als Escort und Statist verdingen muss. Die wortreichen Versprechungen „Glamour, Skandal und Drama“ löst man mehr als reichlich ein. Alles schwirrt durcheinander: Wien und US-Amerika und echte Gefühle in sich ständig ändernden Fassaden- und Showkonstellationen.

Das zeigt die Premiere am Vorabend des Wahlsonntags gründlich und macht dabei die Gattung der Operette vor 1933 als Austragungsort von Emanzipationsdiskursen so deutlich wie deren Relevanz im Hier und Jetzt. Konsequenterweise enthält das frühere Heile-Welt-Genre auch Zündstoff aus Phänomenen der Globalisierung. Der Chor (einstudiert von Achim Falkenhausen) ist eine geschlechtsneutrale Gruppe mit Fräcken und Fliegen, die tfn_philharmonie unter Florian Ziemen dazu eine Wucht. Annika Dickel hetzt die Showgirls und -boys durch ein geordnetes Nachtleben.

Rivers bringt alle liebenswerten Gesetzmäßigkeiten der Travestie ins Spiel und bedient alle Träume. Sie ist Diva, Domina, Dompteurin. Geschafft wird bei allen Alters- und Publikumsgruppen, dass niemand mehr über die Orientierungen Hetero/Homo/Bi und alles dazwischen nachdenkt. Die Gegebenheiten entwickeln eine eigene, lustvoll-schmerzliche Dynamik. Schmerzlich gilt vor allem für den von Eddie Mofokeng mit Groove und Gefühl dargestellten Nino Namara, Mizzis temporären Lover.

Sonja Isabel Reuter (Garderobiere/Bessie) gibt eine Lernbeflissene in Sachen Showbusiness, Andrey Andreychik (Präsident/Teddy Vandermeere) setzt seine Rollen an einer Schnittstelle von Modestar à la Andy Warhol und Bankdienstleister. Jan Kämmerer macht vor allem als Regisseur mit feinen karikierenden Bonmots beste Figur. Wenn die Hürden von Konvention, Reglements und Missverständnissen abgetragen sind, stehen die Figuren sich noch immer selbst im Weg. Felix bleibt am Ende allein auf der Bühne, da wirkt das letzte Oscar-Straus-Lied fast zynisch. Dabei ist es Tenor Julian Rohde, der die schönsten Lieder und Schlager singen darf.

Roland H. Dippel

„Hochzeit in Hollywood“ (1928) // Operette von Oscar Straus

Infos und Termine auf der Website des Theaters für Niedersachsen

24. Februar 2025

Psychogramm eines Helden

Karlsruhe / Badisches Staatstheater Karlsruhe (Februar 2025)
Händels „Rinaldo“ in der zweiten Fassung von 1731

Karlsruhe / Badisches Staatstheater Karlsruhe (Februar 2025)
Händels „Rinaldo“ in der zweiten Fassung von 1731

„Rinaldo“, Georg Friedrich Händels erste für London geschriebene Oper, ist für die Karlsruher Händel-Festspiele ein bekanntes Werk. Schon 1981, bei den vierten Festspielen, stand die Oper auf dem Programm. Und man erinnert sich noch gut an jene Produktion, da damals zum ersten Mal ein Countertenor die Bühne des Badischen Staatstheaters betrat. Ab jenem Zeitpunkt gehörten die Altisten zu den gern gesehenen Gästen auf der Karlsruher Bühne, und fast jeder renommierte Countertenor wirkte irgendwann beim Ensemble der Händel-Festspiele mit.

Umso bedauerlicher ist es, dass es diesmal nicht gelingt, einen mitreißenderen Interpreten für die Titelrolle zu gewinnen als Lawrence Zazzo. Auf der Bühne, auf der in den letzten Jahren u.a. Max Emanuel Cenčić, Franco Fagioli, Jakub Józef Orliński und Valer Sabadus brillierten, nimmt sich Zazzo als eher biedere Besetzung aus. Wie viel ergreifender hätte wohl Cenčić „Cara sposa“ gesungen, wie viel virtuoser hätte Fagioli die „Venti turbini“ angerufen? Doch man entscheidet sich für die selten gespielte zweite Fassung der Oper von 1731, die gegenüber der von 1711 umfangreiche Umarbeitungen erfuhr und besonders im letzten Akt neue Akzente setzt. So wurde der Schluss ab dem Marsch geändert, was Zazzo die Arie „Or la tromba in suon festante“ erspart. Auch die Battaglia ist gestrichen, was das Heroisch-Kriegerische des dritten Aktes deutlich reduziert.

Das greift auch Hinrich Horstkotte auf, der in Personalunion sowohl Regie als auch Ausstattung übernimmt. Während er im Bühnenbild und in den Kostümen eine geradezu barocke Bühnenpracht erstrahlen lässt, wird der Titelheld bei ihm zur gebrochenen Figur. Nicht als siegreicher Held, sondern als traumatisierter Charakter steht Zazzo am Ende auf der Bühne.

Konventionell gezeichnet sind die weiteren Protagonisten, wenn man sich auch erst daran gewöhnen muss, dass Argante in dieser Fassung einem Alt anvertraut ist. Doch Francesca Ascioti macht viel aus der Partie, ebenso wie Valeria Girardello eine verführerische Armida gestaltet. Die gesangliche Krone gebührt indes Suzanne Jerosme als wunderbar singende Almirena mit der Arie „Lascia ch’io pianga“: ein gesanglicher Höhepunkt. Unbedingt erwähnt werden muss noch der Goffredo von Jorge Navarro Colorado, der nach wackeligem Beginn einen Koloraturtenor vom Allerfeinsten hören lässt.

Rinaldo Alessandrini und die Deutschen Händel-Solisten bieten Barock-Musik auf höchstem Niveau, wobei der Dirigent auch gern mal improvisieren lässt und auf die Spontaneität seiner Musiker setzt. So interessant es ist, die 1731er-Fassung kennenzulernen, das Pendant von 1711 wirkt doch frischer und musikalisch anspruchsvoller.

Manfred Kraft

„Rinaldo“ (1711/31) // Opera seria von Georg Friedrich Händel

Infos und Termine auf der Website des Badischen Staatstheaters Karlsruhe