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Rezensionen

29. September 2025

Vom Spiel mit der Vergänglichkeit

Zürich / Opernhaus Zürich (September 2025)
Opulente „Bridgerton“-Ästhetik für den „Rosenkavalier“

Zürich / Opernhaus Zürich (September 2025)
Opulente „Bridgerton“-Ästhetik für den „Rosenkavalier“

Die Besetzung liest sich wie das „Best-of“ der aktuell verfügbaren Rollenprotagonisten, mit Joana Mallwitz steht eine der gefragtesten jungen Dirigentinnen am Pult des Orchesters der Oper Zürich: Keine Frage, Matthias Schulz setzt mit Richard Strauss’ „Rosenkavalier“ gleich zu Beginn seiner Intendanz ein schillerndes Glanzlicht.

Und in diesem Fall ist die Spitzenbesetzung wahrlich kein Luxus: Mallwitz’ temporeiche Interpretation verlangt vom routinierten Ensemble nicht selten halsbrecherische Wortakrobatik. Das bekommt vor allem Baron Ochs alias Günther Groissböck im ersten Akt zu spüren, dem für seine konversationsreiche Paraderolle buchstäblich wenig „Luft zum Atmen“ bleibt. Dass er trotz zungenbrecherischem Einsatz präzise textverständlich ist und bis hin zum Tête-à-Tête mit Mariandl im SM-Studio (dritter Aufzug) sogar noch mit komödiantischem Talent darstellerische Höhepunkte setzen kann, beweist seine Klasse.

Diana Damrau als Marschallin liefert eine Art Kontrapunkt dazu, sie versteht es meisterhaft, inmitten von optischer und musikalischer Hyper-Opulenz ihre lyrischen, tragischen und nachdenklichen Momente stimmlich voll auszukosten. Etwas, das Mallwitz’ rasanter Lesart nach anfänglicher Hör-Irritation einen spannenden, neuen Schwung verleiht. Die innerliche Wandlung der Marschallin bildet dann auch das psychologische Zentrum dieses allgegenwärtig ver(sinn)bildlichten Vanitas-Effekts von Gottfried Helnwein. Sein opulentes Kostüm- und Bühnenbild zeigt barockes Lebensgefühl zwischen übertriebenem Glamour und lächerlicher Farce.

Musikalisch gipfelt die Strauss’sche Fülle vor allem im Liebesduett von Octavian und Sophie sowie im finalen Terzett – hier nimmt sich das optische Geschehen merklich zurück, puristisches Hellblau oder eine abgedunkelte Sternenhimmel-Kulisse genügen. Für Lydia Steier, die eine Produktion der Los Angeles Opera aus dem Jahr 2005 neu inszenierte, liegt der Fokus in erster Linie auf lebendigerer Personenregie – mit Erfolg. Sie trifft den richtigen Ton und jongliert die Protagonisten gekonnt inmitten dieser unkontrollierbaren Welt aus überbordend-opulenter Musik, phantastischer Wollust und inhaltlichem Wahnsinn. Und sie setzt Akzente: Während Angela Browers Octavian sich darstellerisch vom störrischen Rosen-Überbringer zum mitleidenden, jugendlichen Liebhaber entwickeln darf – ihre sängerischen Qualitäten sind die Überraschung des Abends –, ist die US-Amerikanerin Emily Pogorelc bei Steier eine freche, selbstbewusste und entgegen der üblichen Rollentradition sogar aufmüpfige Sophie. Dass sie das mit mädchenhaftem, klarem Sopran tut, passt zu dieser vor Kontroversen strotzenden Produktion. Bo Skovhus als Faninal bleibt dagegen insgesamt etwas blass, was aber nicht weiter tragisch ist.

Das Konzept geht auf, die Geschichte balanciert gekonnt überspitzt bis an den Rand der Persiflage, ohne ins Oberflächliche abzudriften. Wer die US-Netflix-Serie „Bridgerton“ kennt, wird sich in dieser Ästhetik übrigens wie zu Hause fühlen.

Iris Steiner

„Der Rosenkavalier“ (1911) // Komödie für Musik von Richard Strauss

Infos und Termine auf der Website des Opernhauses Zürich

kostenfreier Stream bis 20. Januar 2026 auf arte.tv

27. September 2025

Anno 2174

Wien / Musiktheatertage Wien (September 2025)
Klingende Escape Rooms für „The Resilience of Sisyphos“

Wien / Musiktheatertage Wien (September 2025)
Klingende Escape Rooms für „The Resilience of Sisyphos“

Mit Klangräumen, Rätseln und dystopischen Szenen führt die Produktion „The Resilience of Sisyphos“ das Publikum im Rahmen der Musiktheatertage Wien durch eine Mischung aus Performance, Spiel und Theater. Das Gebäude der alten Wirtschaftsuniversität Wien macht seinem Namen alle Ehre: Es ist in die Jahre gekommen. Während die Studierenden seit mehr als einem Jahrzehnt ihre Vorlesungen auf einem modernen, preisgekrönten Campus besuchen, dient der riesige Gebäudekomplex – der 2027 abgerissen werden soll – noch einmal als Bühne.

Zum „Check-in“ für die Zeitreise ist man um 18 Uhr vor Ort. Der Weg durch die langen, schummrig beleuchteten Gänge der alten WU ist gut gekennzeichnet. Nach der Abgabe von Mobiltelefonen und Wertsachen erhält man eine Bordkarte, stellt sich auf die zugeteilte Nummer und hört die erste Durchsage: Eine strenge Stimme kündigt „lebensverändernde Momente“ an. Kurz darauf werden die Besucher in Kleingruppen aufgeteilt, wählen Teamleiter, erfinden Gruppennamen und beantworten Fragen – das Szenario erinnert an eine Mischung aus Rollenspiel und Escape Room.

Es ist ein warmer Spätsommerabend im September, im Innenhof ist ein kleines Büfett aufgebaut. Von diesem „Hub“ aus marschiert man ins Geschehen. Wir schreiben das Jahr 2174 und befinden uns auf der Station Sisyphos. Die spielfreudige Crew schärft uns ein, dass wir – die nun fünf Klangräume mit Elementen eines Escape Rooms betreten – mitentscheiden, wie es um das Schicksal der Erde bestellt sein wird. Jede Gruppe erhält Plastiktäschchen in ihrer Farbe, bevor es in die erste Station geht: Sand unter den Füßen, dystopische Texte, minimalistische Klänge. Besonders hervor sticht die ironisch inszenierte Gameshow mit dem allseits beliebten Spiel „Wahrheit oder Pflicht“, bei der jeweils ein Gruppenmitglied auf dem „heißen Stuhl“ Platz nimmt. Alle schlagen sich tapfer und bewahren Contenance, selbst wenn ihnen ein Schweinchen auf die Stirn gemalt wird. Bedrohlich wird es, als eine große Flut die Station heimsucht und eine riesige Plastikplane die Besucher zu verschlingen droht. Doch da die aufmerksamen Mitspielerinnen und Mitspieler – das Publikum – ein Zahlenrätsel lösen können, sind schließlich alle gerettet. Erschöpft verlässt man die Zukunft zurück Richtung Gegenwart.

Hervorzuheben sind vor allem der Mut und die Experimentierfreude des Kollektivs MuPATh, das 2010 von Rupert Bergmann und Samu Gryllus gegründet wurde. Gemeinsam mit Aleksandra Bajde, Dominik Förtsch, Wen Liu, Conny Zenk, Carmen C. Kruse (Regie) und Lisa Horvath entsteht ein Werk, das sich nicht über klassische Musik definiert, sondern über vielfältige Ausdrucksformen – insbesondere die eindrucksvoll eingesetzten Stimmen der bestens geschulten Künstler. Und was hat all das nun mit der Widerstandsfähigkeit von Sisyphos zu tun? Er steht für die ewige und scheinbar sinnlose Anstrengung. Oder vielleicht doch nicht? Ein Mitspieler bemerkt: „Aber wenigstens hat er eine Arbeit!“

Susanne Dressler

„The Resilience of Sisyphos“ (2025) // Immersives, interaktives Musiktheater im Escape-Room Format

22. September 2025

Dienst und Schnaps

Chemnitz / Theater Chemnitz (September 2025)
„Rummelplatz“ in der Europäischen Kulturhauptstadt

Chemnitz / Theater Chemnitz (September 2025)
„Rummelplatz“ in der Europäischen Kulturhauptstadt

Chemnitz ist in diesem Jahr Europäische Kulturhauptstadt. Ein Höhepunkt: die Uraufführung einer Oper nach Werner Bräunigs DDR-Roman „Rummelplatz“. Es geht um die Wismut AG, jenes sowjetische Unternehmen, das im Erzgebirge Uran für die Atomindustrie abbaute. Schriftstellerin Jenny Erpenbeck, die das Libretto anfertigte, konzentriert sich auf wenige Szenen und vier Hauptfiguren aus dem 800-Seiten-Wälzer. Dabei fügte sie Originaltext hinzu, sodass Bräunigs kraftvoll-derbe Ausdrucksweise gewahrt bleibt.

Die Musik stammt von Ludger Vollmer, der hier die große Besetzung auffährt. Die von Benjamin Reiners schwungvoll geleitet Robert-Schumann-Philharmonie wird um jede Menge Schlagwerk und ein Piano erweitert; hinzu gesellen sich Opernchor, Kinder- und Jugendchor. Vollmer schrieb eine zugängliche, mitreißende Musik mit pulsierenden Rhythmen und beseelten Melodien. Er integrierte Spuren von Volksliedern, Jahrmarktmusik oder Techno, wobei die Partitur durch Leitmotive zusammengehalten wird. Das Bergwerk dröhnt in einer Ganztonleiter, während der Trubel auf dem Rummelplatz sich mit chromatischen, repetitiven Läufen zu orgiastischer Wucht aufbauscht.

Regisseur Frank Hilbrich setzt auf den Wechsel zwischen düsterem Untertage-Realismus und knallbunter Jahrmarkt-Atmosphäre. Befremdlich wirkt es, dass sich alle Figuren stets in Zeitlupe bewegen. Das erscheint wie der Versuch, eine einfallslose Personenregie zu kaschieren. Vor allem die Szene des Schauprozesses im Umfeld des Aufstandes vom 17. Juni 1953 wirkt blutleer und verkopft, da sie kaum mehr als altmodischen Rampengesang bietet.

Dass Langeweile aufkommt, verhindert jedoch das Bühnenbild von Volker Thiele, der den Kontrast zwischen den engen Stollen und dem weiten Himmel über dem Rummelplatz zuspitzt. Nach der Knochenarbeit betäuben sich die Bergleute hier bei Schnaps, Schlägereien und dem Anbändeln mit leichten Mädchen. In diesem Umfeld muss sich Professorensohn Christian Kleinschmidt bewähren, der vor Studienantritt zum Arbeitseinsatz verdonnert wurde. Ein geschickter Kunstgriff ist die Besetzung dieser Partie mit einem Countertenor: Etienne Walch vermittelt Zartheit und Intellektualität, zugleich aber auch Zähigkeit. Seine Gefährtin, die selbstbewusste Lokführerin Ruth Fischer, wird von Menna Cazel verkörpert, deren dramatischer Sopran ein wenig zu scharf klingt. Ihr Vater ist der Steiger Herrmann Fischer, ein ehemaliger KZ-Häftling; eindrucksvoll zeigt Jaco Venter, wie dessen kommunistische Ideale an der DDR-Realität zerschellen. Mit warmem Mezzo verkörpert Marlen Bieber die Kellnerin Ingrid, Peter Essl spielt mit ausdrucksstarkem Bariton Peter Loose, der nach dem Diebstahl eines Kartoffelsacks zum Bergbau eingezogen wurde.

Ein neuer Epilog spannt einen Bogen in die Neunziger. Lokführerin Ruth Fischer muss nun abwickeln, was sie einst als junge Frau voller Überzeugung aufbaute. Der einhellige Applaus honoriert nicht zuletzt, dass hier das Treuhand-Trauma thematisiert wird, das auch rund um Chemnitz massenhaft Arbeitsplätze vernichtete und die ganze Region deindustrialisierte.

Antje Rößler

„Rummelplatz“ (2025) // Oper von Ludger Vollmer (Musik) und Jenny Erpenbeck (Libretto) nach dem gleichnamigen Roman von Werner Bräunig

Infos und Termine auf der Website des Theaters Chemnitz

16. September 2025

Turbulent-vergnüglich

Bremerhaven / Stadttheater Bremerhaven (September 2025)
Prokofjews „Die Liebe zu den drei Orangen“ greift tief in die Ideenkiste

Bremerhaven / Stadttheater Bremerhaven (September 2025)
Prokofjews „Die Liebe zu den drei Orangen“ greift tief in die Ideenkiste

In der letzten Spielzeit hat Frank Hilbrich am Bremer Theater mit seiner fantasievollen und prallen Inszenierung von Sergej Prokofjews Oper „Die Liebe zu den drei Orangen“ für uneingeschränktes Vergnügen gesorgt. Nun legt das nahegelegene Stadttheater Bremerhaven zur Spielzeiteröffnung mit einer Inszenierung durch Julius Theodor Semmelmann nach. Und auch hier gelingt es, Chaos, Witz, Satire und Märchenhaftes zu einem absurden Gesamtereignis voller Charme zu bündeln. Gesungen wird in deutscher Sprache.

Prokofjews Oper ist ein geistreiches Stück über das Theater und seine verschiedenen Formen wie etwa Tragödie oder Komödie, Farce oder Satire, Liebesgeschichte oder Märchen. Bei dieser Frage, über die sich zu Beginn verschiedene Gruppen auf der Bühne und im Zuschauerraum streiten, bleibt das Werk scheinbar unentschlossen, weil es Elemente all dieser Formen enthält. Dennoch fügt es sich zu einem faszinierenden Gesamtkunstwerk. Die skurrile Geschichte um den depressiven Prinzen, der nicht lachen kann und erst durch Schadenfreude „geheilt“ wird, ist durchaus komödiantisch. Die Kämpfe zwischen dem Zauberer Tschelio und der Hexe Fata Morgana fallen in den Bereich des Märchenhaften, die intriganten Machtspiele von Leander und Clarice laufen auf eine Tragödie (mit satirischen Elementen) hinaus und die Romanze zwischen dem Prinzen und der Prinzessin Ninetta ist fast eine klassische Liebesgeschichte. Die Szenen um die diabolische Köchin, die die drei Orangen hütet, haben etwas von einer Farce.

Regisseur und Bühnenbildner Semmelmann hat tief in seine Ideenkiste gegriffen und schreckt auch vor (geschmackvollem) Klamauk nicht zurück. Bevor es richtig losgeht, sieht man eine Ingrid-Steeger-Kopie vor dem Vorhang. Eine „Zuschauerin“ verlässt telefonierend das Theater. Tschelio und Fata Morgana liefern sich in luftiger Höhe ein Duell mit Spielkarten, Farfarello erzeugt mit einem riesigen Föhn beträchtliche Windstärken und die Köchin wirkt durch eine Videoprojektion noch gefährlicher. Im Wüstenbild sieht man (ähnlich wie in Bremen) drei riesige Orangen, aus denen die Prinzessinnen schlüpfen. Der Hofstaat wird köstlich karikiert, etwa wenn ein überforderter Lakai die lange Schleppe des Königs auch bei hektischem Lauf tragen muss. Der große Mond am Himmel sieht auf den ersten Blick romantisch aus, ist aber gleichzeitig augenzwinkernde Ironie. Viele Beleuchtungseffekte, bei denen auch der Zuschauerraum miteinbezogen wird, sind gelungener Teil der Regie. Die Kostüme von Devin McDonough fallen sehr fantasievoll aus, Tschelio etwa könnte auch der „Harry Potter“-Saga entstammen.

Getragen wird der Abend von einer soliden Ensembleleistung, darunter Timothy Edlin (König und Köchin), Kai Preußker (Leander), Andrew Irwin (Truffaldino), Marcin Hutek (Farfarello) und Frederic Mörth (Tschelio). Meredith Hoffmann-Thomson beeindruckt als bühnenbeherrschende Fata Morgana mit kraftvollem Sopran und Tenor Weilian Wang kann als Prinz mit höhensicherer, etwas gleißender Stimme überzeugen. Boshana Milkov verleiht der Verschwörerin Clarice punktgenaue Komödiantik, Victoria Kunze ist eine anmutige Prinzessin Ninetta.

Ein Sonderlob gebührt dem großartig und klangvoll singenden (und agierenden) Chor in der Einstudierung von Edward Mauritius Münch. Dem von Marc Niemann geleiteten Philharmonischen Orchester Bremerhaven zu lauschen ist eine reine Freude. Niemann geht mitunter ordentlich „in die Vollen“, etwa bei dem berühmten Marsch, kann aber auch den Witz und die Feinheiten der Musik exemplarisch verdeutlichen.

Wolfgang Denker

„L’amour des trois oranges“ („Die Liebe zu den drei Orangen“) (1921) // Oper von Sergej S. Prokofjew in deutscher Fassung

Infos und Termine auf der Website des Stadttheaters Bremerhaven

7. September 2025

Exzellenz am Barockopernhimmel

Bayreuth / Bayreuth Baroque Opera Festival (September 2025)
Sinnlicher Genuss mit Cavallis „Pompeo Magno“

Bayreuth / Bayreuth Baroque Opera Festival (September 2025)
Sinnlicher Genuss mit Cavallis „Pompeo Magno“

Über allem glänzt der Markuslöwe von Venedig und womöglich ging es genauso zu im Venedig des 17. Jahrhunderts oder Caesars Rom. Ziemlich sicher jedoch waren Barockopern zur Entstehungszeit so üppig und wirr, so leidenschaftlich und schrill wie zur Premiere von Bayreuth Baroque. Max Emanuel Cenčić als Künstlerischer Leiter setzt mit der gänzlich unbekannten Oper „Pompeo Magno“ von Francesco Cavalli ein schillerndes Spiel der Leidenschaften brillant um.

Die Sänger schmachten und leiden, tauchen ein in die Tiefe menschlicher Gefühle fast wie in einem antiken Drama. Am Ende löst Amor lässig sämtliche Krisen und Wirrungen auf und lässt Darsteller wie Publikum in seligem Glück zurück. Barockopern sind immer noch eine Nische, die Fans reisen aus ganz Europa an. Francesco Cavallis „Pompeo Magno“ wurde 1666 in Venedig uraufgeführt und geriet nahezu in Vergessenheit. Keine CD ermöglichte eine Vorbereitung, doch alle Gäste in der ausverkauften Premiere erleben eine große Opern-Sternstunde.

Die neun kleinwüchsigen Darsteller verschmelzen bald zu einer frechen Einheit mit Theater, Sängern und Kulissen. Es ist viel los auf der Bühne, Licht und Ausstattung fügen sich zu einem Gesamtkunstwerk. Die Bühne wirkt wie ein barockes Gemälde, das perfekt harmoniert mit dem Welterbe-Theater. Das Markgräfliche Opernhaus eignet sich optisch wie akustisch ausgezeichnet für das Stück. Erbaut ab 1744, überdauerte das spätbarocke Juwel die Jahrhunderte. Das ganz aus Holz gefertigte Opernhaus garantiert bis heute außergewöhnlichen Hörgenuss.

Gleich sieben Countertenöre ermöglichen eine Zeitreise in die Klangwelten des 17. Jahrhunderts. Regisseur Cenčić singt selbst den Pompeo, er ermutigt das gesamte Ensemble zu ganz großen Schauspielgesten. Die Sänger nutzen sogar die Seitenlogen und transportieren das Geschehen damit mitten ins Publikum. Es geht um Feldherren, Rache und Kriege im alten Rom, um Pompeo und Mitridate, aber auch und vor allem um echte und verschmähte Liebe, um Enttäuschung, Treue und Verwechslung. Gelegentlich wird es lüstern und derb, dann wieder sinnlich und ganz zart. Bunte, glänzende Roben aller Sänger und Darsteller sorgen für optischen Genuss. Denen ist die Sang- und Spielfreude im dreistündigen Stück in jeder Minute anzumerken.

Schnell geraten die Übertitel in deutscher und englischer Sprache zur ignorierten und überflüssigen Nebensache. Zu verschachtelt sind die Texte, dafür die Musik umso aussagekräftiger. Die Cappella Mediterranea unter Leitung von Leonardo García-Alarcón begeistert mit klarer Begleitung und erntet jubelnden Extra-Applaus. Das Experiment gelingt: Max Emanuel Cenčić sorgt mit „Pompeo Magno“ für Exzellenz am Barockopernhimmel.

Claudia Erdenreich

„Pompeo Magno“ (1666) // Dramma per musica von Francesco Cavalli

Infos und Termine auf der Website des Bayreuth Baroque Opera Festivals

kostenfreier Stream ab 17. September 2025 auf arte.tv

29. August 2025

Tödliche Arbeit am sozialen Rand

Weimar / Kunstfest Weimar (August 2025)
Günter Wallraffs Bestseller „Ganz unten“ als Oper aus türkischer Perspektive

Weimar / Kunstfest Weimar (August 2025)
Günter Wallraffs Bestseller „Ganz unten“ als Oper aus türkischer Perspektive

Gedenken an den Holocaust, ein Stück über die ökologische Ressourcenplünderung im Turbokapitalismus, Gewissenskonflikte im Rechtsruck und Brückenschläge zum Themenjahr „Faust“ der Klassik Stiftung Weimar … Beim siebten und letzten von Rolf C. Hemke geleiteten Kunstfest Weimar dominieren eindeutig politische Themen. Die Uraufführung der gleichnamigen Oper reflektiert Günter Wallraffs Bestseller-Reportage „Ganz unten“ von 1985 aus türkischer Perspektive. Emotional, effektvoll und sehr milde geben sich der Fusion-Komponist Sabri Tuluğ Tırpan und Textdichter Mehmet Ergen. Das Trio des Komponisten am Klavier mit dem Geiger Bora Gökay und dem Cellisten Burak Ayrancı setzt Klänge wie aus Kurt Weills deutschen Bühnenwerken, etwas Atmosphäre à la Erik Satie und akademische Gründlichkeit.

Trotz dieses moderaten Kolorits ist das Projekt einer Doku-Oper mit einem horriblen Sujet vom beginnenden Niedergang des deutschen Wirtschaftswunders ein Muss. Denn hier positionieren sich nicht die Verursacher des sozialen Drucks, sondern die Kinder jener Gastarbeiter- und Migranten-Generation, ohne die Westdeutschland sich nie in die vorderste Reihe der Industrie- und Exportnationen hätte hochschleusen können. Die plakative Szenenfolge verzichtet aufs Lamentieren und spiegelt die 1980er Jahre nüchtern, ja fast schüchtern. Die den bundesrepublikanischen Zeitgeist der Vorwendejahre sacht spiegelnden Kostüme von Defne Özdoğan machen sparsam eine dichte, aber wenig suggestive Atmosphäre. Das Leben „Ganz unten“ in den 1980ern kannte Großstadt-Glitzern nur verschwommen. Eine saubere Armut wird sichtbar und das Licht von Richard Williamson wirkt leicht schmutzig.

Mehmet Ergens Regie führt die sechs Darstellenden in den vielen Rollen übersichtlich strukturiert, deutlich und leise. Die Theatermittel schließen kabarettgemäße Tanznummern ein. Der Autor Günter Wallraff und die von diesem für die Recherchezüge selbst verkörperte Prekariats-Kunstfigur Ali sind in zwei in ihrer Physiognomie sehr unterschiedliche Darsteller aufgespalten. Diese Brecht’sche Verfremdung ist eine unter mehreren und hat Vorzüge. Der schlanke Günter Wallraff (Ryan Wichert) mit Brille kommentiert, reflektiert, räsoniert. Der größere, leicht bullige und vom Arbeitsstress bald entpersönlichte Ali (Burak Bilgili) agiert langsam. Wallraff spricht viel. Ali singt häufiger, meistens geschlossene Melodien und resignative Aufwallungen.

Die Videos und Fotodokumente aus den 1980er Jahren machen die krasse Faktenfülle von Text und Oper leider etwas klein, wirken wie staunendes und affektives Studententheater angesichts einer die Spielenden überwältigenden Welt. Güvenç Dağüstün, Lou Strenger, Ömer Cem Çoltu und Talha Kaya sind höchst engagierte, emotional präsente und agile Darstellende für das keineswegs einfache Choreografie-Design von Beyhan Murphy und Mert Öztekin. Trotzdem: Die Härten und Spaltungen von heute sind mindestens ebenso sozialdarwinistisch, menschenfeindlich, unachtsam und perfide wie vor 40 Jahren. Weil Wallraffs publizistisch-detektivischer Meilenstein deshalb noch immer relevant ist, bleibt die Uraufführungsproduktion etwas harmlos. Viel Applaus und Anerkennung, auch vom koproduzierenden Goethe Institut und der Istanbul Music Association.

Roland H. Dippel

„Ganz unten“ (2025) // Doku-Oper von Sabri Tuluğ Tırpan (Komposition), Mehmet Ergen (Libretto) und Günter Wallraff (originale Textvorlage); Übersetzung von Zeynep Anacan

27. August 2025

Dramatisches Mozart-Fossil

Bad Lauchstädt / Goethe-Theater Bad Lauchstädt & Puppentheater Halle (August 2025)
„Titus“ in Sturm-und-Drang-Deutsch

Bad Lauchstädt / Goethe-Theater Bad Lauchstädt & Puppentheater Halle (August 2025)
„Titus“ in Sturm-und-Drang-Deutsch

Vor einem Jahr dirigierte Michael Hofstetter bei den von ihm geleiteten Gluck Festspielen Mozarts 1791 in Prag uraufgeführte Oper (anlässlich der Krönung Kaiser Leopolds II. zum König von Böhmen) sowie Christoph Willibald Glucks gleichnamige Opera seria „La clemenza di Tito“. Jetzt also wieder Mozarts „Titus“: „Made in Weimar“ in einer deutschen Fassung von Goethes Schwager Christian August Vulpius. Das nach maßgeblicher Bauleitung des Weimarer Dichterfürsten eröffnete Schauspielhaus in Lauchstädt war Goethes Klein-Bayreuth. Das ist ein gewichtiger Grund von Hofstetters Liebe für diesen Aufführungsort.

Mozarts Vertonung gelangte mittels einer heute im Thüringischen Landesmusikarchiv aufbewahrten und um ein Viertel gekürzten Partitur-Abschrift nach Weimar. Vulpius übertrug die rituellen Verse des italienischen Originals in blutiges bis blumiges Sturm-und-Drang-Deutsch. Zudem verwandelte er die langen Rezitative in gesprochene Dialoge. Die Story über den von seiner Geliebten Vitellia zum Attentat auf den altrömischen Kaiser Titus getriebenen Sextus wurde noch knapper, sinnfälliger, drastischer – und weitaus unterhaltsamer.

Anderer Coup der Produktion: Mit einem Teil von Hofstetters Bayreuther Gluck-Ensemble ist dieser „Titus“ ein Projekt des Puppentheaters Halle. Die Lauchstädter Dramaturgin Ilsedore Reinsberg konnte für ihre aus handgeschriebenen Rollen- und Soufflierbüchern sowie interlinearen Eintragungen in die Thüringer Partitur erstellte Rekonstruktion den Figurentheater-Regisseur Ralf Meyer gewinnen.

Im Lauchstädter Theater agiert das packend agile Vokalensemble Cantus Thuringia als Chor und die Puppenspielenden mit den von Atif Hussein fast lebensgroß als Doubles der Sängerinnen und Sängern gestalteten Figuren. Die Ausstattung von Angela Baumgart gibt sich mit ästhetischer Kontrastschärfe: Funktionale Neonkonturen für das römische Forum stehen neben Playgame-Farben für eine Landschaft mit den vervielfachten Wasserfällen von Tivoli. Am spannendsten wird Meyers Regie, wenn die singenden Personen mit ihren Puppen-Doubles in psychisch-physischen Clinch geraten.

Hofstetters rumorende, aufregende, an Zwischentönen und dramatischem Furor reiche Instrumentalarbeit mit der Staatskapelle Halle trägt die charakterstarken Stimmen: Anna Herbst (Servilia), Maria Hegele (Annio) und Michael Zehe (Publio) sind Mozart-affin auf hohem Standard. Olena Tokar, Lieblingssopranistin des Leipziger Opernpublikums, ist als Vitellia noch nicht ganz im Heroinen-Olymp des Opern-Spätfeudalismus angekommen. Sie nimmt die Abgründe der an den politischen Rand gedrängten Kaisertochter als Attitüde und bekommt beim Soloapplaus vom gleichen Verehrer gleich drei Blumensträuße zugeworfen. Aco Bišćević ist ein stil- und passgenauer Kaiser: kein lyrischer Mozart- und Fast-Heldentenor für große Häuser, sondern hell, feinsinnig, minimal nasal und gerade deshalb viel näher bei Mozarts kaiserlichem Gutmensch als viele selbstsichere vokale Potenzbomben. Höhepunkte der Vorstellung setzt die 2024 mit dem Bayerischen Kunstförderpreis ausgezeichnete Mezzosopranistin Vero Miller mit einem intensiven und faszinierend gesungenen Sextus.

Roland H. Dippel

„Titus“ (1791/99) // Freie Bearbeitung von Wolfgang Amadeus Mozarts Opera seria „La clemenza di Tito“ in deutscher Sprache nach der Weimarer Fassung 1799

17. August 2025

Winter im Sommer

Erfurt / Theater Erfurt (August 2025)
„La Bohème“ bei den DomStufen-Festspielen

Erfurt / Theater Erfurt (August 2025)
„La Bohème“ bei den DomStufen-Festspielen

Die Erfurter DomStufen-Festspiele zeigen in diesem Jahr Puccinis packendes Operndrama „La Bohème“. Schon allein die Kulisse des Domes ist beeindruckend – und was Bühnenbildner und Regisseur Matthew Ferraro daraus gestaltet, einfach großartig. Im ersten Teil entsteht eine packende Welt der Magie voll Jahrmarktzauber: inbegriffen eine Riesenrutsche, die über die ganzen Domstufen reicht und die sogar vom Kinderchor freudig genutzt werden kann. Darinnen eine schauspielerisch und stimmlich begeisternde Anna Sophia Theil als Musetta im leuchtenden roten Kleid (Kostüme: Mila van Daag) und blonder Perücke, einen kurzen Marilyn-Monroe-Moment inbegriffen.

Der zweite Teil wird dann innig und gefühlvoll erzählt, ohne Ablenkungen, ganz bei der dramatischen Erkrankung bis zum Tod Mimìs, die von der Künstlergruppe mitfühlend umsorgt wird. Der filmischen Inszenierung von Matthew Ferraro gelingt bewundernswert die Personenregie, in der jede Regung der Protagonisten deutlich wird. Die Charaktere werden so geführt, dass das Publikum förmlich mitfühlen muss. Nachdem es dunkel geworden ist, beeindrucken eine Fülle von Lichtern und Lichtspielen (Torsten Bante), die für eindrucksvolle Momente sorgen.

Das A und O dieser Produktion ist jedoch die durchweg großartige Besetzung und Ensembleleistung, die sich insgesamt auf einem sehr hohen Niveau bewegt. Voran zu nennen sind Sopranistin Daniela Gerstenmeyer als Mimì, die nicht nur im Gesang, sondern auch im Spiel unglaublich bewegt; Tenor Jérémie Schütz als Dichter Rodolfo, der mit starker Mimik und auch in bekannten Arien wie „Che gelida manina“ fasziniert; sowie die Künstlergruppe um Bariton Alik Abdukayumov (Maler Marcello), Bass Kakhaber Shavidze (Philosoph Colline) und, schauspielerisch nicht ganz so akzentuiert, Bariton Konstantin Ingenpaß (Musiker Schaunard).

Dazu spielt das Philharmonische Orchester Erfurt aus dem Theaterhaus und wird live auf den Domplatz übertragen – Dirigent Clemens Fieguth trifft erst am Ende zum Applaus vor Ort ein. Ob das Orchester nicht noch vor Ort Platz finden könnte, sollte überlegt werden. Hinzu kommen ein bewegt interagierender Opernchor, der Philharmonische Chor Erfurt und der Kinder- und Jugendchor der Chorakademie Erfurt. Das zahlreich erschienene Publikum zeigt sich begeistert.

Dr. Claudia Behn

„La Bohème“ (1896) // Oper von Giacomo Puccini

Infos und Termine auf der Website des Theaters Erfurt

13. August 2025

Sarkastische Staatsaktion, hübsch präsentiert

Innsbruck / Innsbrucker Festwochen der Alten Musik (August 2025)
Ottavio Dantone rehabilitiert Caldaras „Ifigenia in Aulide“

Innsbruck / Innsbrucker Festwochen der Alten Musik (August 2025)
Ottavio Dantone rehabilitiert Caldaras „Ifigenia in Aulide“

Der Wiener Vizehofkapellmeister Antonio Caldara lieferte mit „Ifigenia in Aulide“ bereits 1718 eine mindestens ebenso zynische Spielplan-Alternative zu Offenbachs 145 jüngerer Opéra-bouffe „Die schöne Helena“. Dabei kommen in Apostolo Zenos Text für den Hof Kaisers Karls VI. die Männer bei der den Beginn des Trojanischen Kriegs verzögernden Flaute um vieles besser weg als die Frauen. Coup Zenos ist die Tatsache, dass Ifigenia die Opferung dann doch erspart bleibt. An ihrer Stelle erdolcht sich zur Besänftigung der olympischen Götter eine gewisse Elisena. Diese wenig bekannte Stoffalternative fanden der französische Tragödiendichter Racine und Zeno in einem Bericht des Pausanias aus dem 2. Jahrhundert nach Christus. In der fast strichlosen Wiederentdeckung bei den 49. Innsbrucker Festwochen der Alten Musik und deren unerschöpflich füllbarem Motto „Wer hält die Fäden in der Hand?“ schenken die Griechen dem Tod Elisenas keine Beileidssekunde zu viel.

Bei Ottavio Dantone und der Accademia Bizantina kommen die Kontraste zwischen Caldaras ständigen Dreiklangsbrechungen des Blechs und der immer glanzvollen Behandlung der anderen Instrumentengruppen ideal zur Geltung. Die langen Rezitative erhalten die bestdenkbare Präzisierung. Dank des persönlichkeitsstarken Solo-Ensembles – vor allem bei den Männern – gerät der fast vierstündige Abend musikalisch weitaus differenzierter als szenisch. Das mit Puppen, Erlesenheit und sparsamen satirischen Spitzen arbeitende Kollektiv Companyia PerPoc um Anna Fernández und Santi Arnal agiert in Alexandra Semenovas Dekor. Warum die drei Frauenfiguren immer wieder lebensgroße Puppen vor sich hertragen, lässt vielerlei Deutungen zu. Alles wirkt wie an der Schnittstelle von Exklusivität und Karikatur.

Elisena, die Figur mit der größten Schicksalsbürde, ist eine fast leichtgewichtige Gesangspartie. Da kann die als „Beste Nachwuchssängerin“ für den Österreichischen Musiktheaterpreis 2025 nominierte Neima Fischer vor allem Innigkeit, aber schwerlich das eigentlich essenzielle dramatische Gewicht setzen. Marie Lys wirft als Ifigenia rasant viel jugendlichen Primadonnen-Aplomb ins Rennen. Shakèd Bar gibt eine Clitennestra, auf die alle Vorbehalte des Dramaturgen Lessing gegen Intrigantinnen mit machiavellistischen Prinzipien zutreffen. Mutter und Tochter bilden ein Duo infernal, gegen das die hellenischen Kampfmaschinen beruhigend harmlos wirken.

Zwei Spitzen-Countertenöre teilen sich die Bühne. Nach selbstverliebten Kapriolen steigert sich Carlo Vistoli als Achille bei seinem Festwochen-Debüt zum fast sentimentalen Heros. Filippo Mineccia ist der zweite Liebende Teucro. Mineccia wächst seit einiger Zeit immer mehr in das Fach des gebrochenen Barock-Helden und geiststarken Ratgebers hinein. Auch Tenor Martin Vanberg als Agamemnone ist ein bemerkenswert differenzierender Charakter, er wäre ebenso ideal in einer ernsthaften Offenbach-Inszenierung. Laurence Kilsby vereint als Ulisse schöne Stimme und Nachdruck, Bariton Giacomo Nanni rät auf edler Linie zu Besonnenheit.

Festwochen-Leiter Dantone macht also barockes Musikdrama mit klaren Mitteln, aus denen immer wieder Sarkasmen schießen und Perfidien züngeln. Diese „Ifigenia in Aulide“ ist alles andere als ein retrobarockes Huldigungsspiel, so schön und bewegend auch manche Arie klingt. Riesenapplaus.

Roland H. Dippel

„Ifigenia in Aulide“ (1718) // Oper von Antonio Caldara, kritische Ausgabe von Bernardo Ticci und Ottavio Dantone

3. August 2025

Die Schicksalsräder drehen sich

Salzburg / Salzburger Festspiele (August 2025)
Fulminanter Königinnen-Machtkampf in Donizettis „Maria Stuarda“

Salzburg / Salzburger Festspiele (August 2025)
Fulminanter Königinnen-Machtkampf in Donizettis „Maria Stuarda“

Im Duell der mächtigsten Monarchinnen des 16. Jahrhunderts lässt Regisseur Ulrich Rasche in seinem Bühnenbild zwei Riesenscheiben permanent rotieren, die die Rivalinnen um Liebe, den englischen Thron und grundsätzlich existenzielle Bedrohung repräsentieren. Für beide Frauen – und ihre Anhänger – ist es unmöglich, die Plattform der jeweils anderen zu betreten, wodurch die Distanz im Ringen um Religion, den rechtmäßigen Herrschaftsanspruch und die leidenschaftliche Zuneigung des Liebhabers auch physisch durchgehend erhalten bleibt. Beeindruckend wird mit Projektionen der schottischen Regentin auf einer dritten Scheibe – schwebend vom Schnürboden herab – gezeigt, dass die Abwesende für Elisabetta I. immer präsent ist. Auch wenn die beiden die meiste Zeit der Oper in getrennten Bildern auftreten: Stuardas Schatten schwebt bedrohlich über ihr. Gleichzeitig wirken die sich drehende Plattformen jeweils wie psychische und physische Gefangenschaften, aus denen nicht ausgebrochen werden kann. Beide Königinnen sind praktisch unablässig präsent, umgeben und manipuliert von Männergruppen.

Die Interpretation des inneren Kampfes verlangt von Lisette Oropesa (Maria Stuarda) und Kate Lindsey (Elisabetta) fortwährende Bewegung auf „ihren“ kreisenden Schicksalsrädern, sie gehen, schleichen, straucheln und schreiten ohne Pause. Und so ist es eine großartige Leistung, dass die beiden US-Amerikanerinnen neben brillantem Gesang auch unbeschreiblich große körperliche Herausforderungen bewältigen können. Sehr störend sind allerdings die knarrenden Geräusche der sich drehenden Plateaus. Unterstützt werden die beiden Königinnen beim emotionalen Ausdruck von Tänzern der SEAD – Salzburg Experimental Academy of Dance, die sich mit ihren Körpern synchron im Takt bewegen, aber auch fest- und zurückhalten, anhimmeln, trösten und stützen. Warum diese Männer vor der Hinrichtung allerdings nur mit Lendentüchern „bekleidet“ sind und damit Saunagang-Atmosphäre verströmen, bleibt unbeantwortet.

Eine packende Szenerie mit großem Effekt wird bei der direkten Konfrontation der beiden Damen erreicht, indem sich Elisabetta einmal erhöht auf ihrer Scheibe präsentiert, wenn sie die Gegenspielerin „in Schande und Staub“ sehen will, und Maria über ihre Kontrahentin „emporgedreht“ wird, als sie über den „abscheulichen Bastard auf Englands Thron“ spricht. Da explodiert die Dramatik.

Lisette Oropesa, in weißem Kleid, glänzt mit atemberaubenden Koloraturen, agiler Stimmführung, blühenden Bögen und reichhaltiger vokaler und darstellerischer Schattierung zwischen Stolz, Liebe, Verzweiflung und Leidenschaft. Eine phänomenale Stuarda, die Gänsehaut erzeugen kann. Kate Lindsey als kontrollierte Regina d’Inghilterra in Schwarz besticht mit herrischen Intervallsprüngen, intensiver Ausdrucksstärke und großen Emotionen zwischen Selbstbeherrschung, Verletzlichkeit, Unsicherheit und würdevollen Auftritten. Ihr dunkler Mezzo erlaubt harte, zornige Attacken ebenso wie sehnsuchtsvollen Klang. Bekhzod Davronov präsentiert klare Spitzentöne als Leicester, Thomas Lehman zeigt als Cecil noblen Bariton-Wohlklang, Aleksei Kulagin tröstet rollendeckend als Talbot.

Antonello Manacorda dirigiert die Wiener Philharmoniker zu melodischer Schönheit und bringt großen Spannungsaufbau beim direkten „Dialogo delle due regine“, deren Schicksal sich unaufhörlich bis zum bitteren Ende dreht. Ein phänomenaler Abend!

Susanne Lukas

„Maria Stuarda“ (1834/35) // Tragedia lirica von Gaetano Donizetti

Infos und Termine auf der Website der Salzburger Festspiele